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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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er sich gleich eine Kugel durch den Kopf schießen, sagte Schleicher.
    »Wenn Papen der Mann ist, für den ich ihn halte, dann könnte er eines Tages auf den Einfall kommen, Ihnen genau das abzunehmen«, brummte David.
    Schleicher wurde zwar kalkweiß, aber die Möglichkeit eines derartigen Mordanschlages schien ihn nicht wirklich zu überraschen. Weil er sich die eigenen Jugendsünden betreffend weiter bedeckt hielt, wechselte David das Thema.
    »Wo befindet sich der Schablonenstein jetzt?«
    Neues Leben kehrte in Schleichers Augen zurück. Ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen. »Irgendwo zwischen dem Nord- und Südpol dieses Hauses.«
    »Den Längen- und Breitengrad können Sie mir nicht zufällig verraten?«
    »Sagen wir, der Glasklumpen hält sich gerade irgendwo im schönen Kanada auf Das muss Ihnen vorerst genügen, Mr Pratt.«
    In Kanada ist es kalt – und in einem riesigen Gerümpel – heller, wie ihn diese Villa haben muss, gewiss ebenso. David seufzte, »Versprechen Sie mir, gut auf die Glaskugel Acht zu geben. Noch fehlt mir sozusagen die Gebrauchsanweisung zu diesem Gegenstand, aber wenn ich sie habe, können wir uns möglicherweise nicht nur Papen, sondern auch noch eine Menge anderer lästiger Zeitgenossen vom Halse schaffen.«
    »Mit einer Glaskugel? Sie scherzen wohl!«
    »Haben Sie das gute Stück noch nie unter einer Lampe betrachtet?«
    Schleicher sah David prüfend an, dann nickte er langsam. »Wirklich erstaunlich, was Sie alles wissen, Mr Pratt! Ja, ich habe diese merkwürdigen Gesichter gesehen.«
    David erstarrte. »Gesichter? Wie meinen Sie das?«
    Schleicher machte eine wegwerfende Geste. »Nur eine Spiegelung, eine winzige Fata Morgana sozusagen. Wenn von oben Licht in die Kugel fällt, entstehen um sie herum eiförmige Flecken, von denen einige wie verschwommene Menschengesichter aussehen.«

 
    Die »Neue Welt«
     
     
     
    Selbst Davids ungewöhnliche Überzeugungskraft konnte Kurt von Schleicher nicht dazu bewegen, ihm auch nur einen einzigen Blick auf die geheimnisvolle Glaskugel zu gewähren. Nach ihrer Restaurierung im Pergamonmuseum schienen die Spiegelungen deutlicher geworden zu sein. Gesichter. Etwa die einer längst vergangenen Bruderschaft? Wenn das stimmte, konnte Jasons Träne vielleicht auch die lebenden Logenbrüder zeigen. Vorausgesetzt man wusste, wie ihr diese zu entlocken waren.
    Schleichers Hinhaltetaktik erschien David äußerst gefährlich. Nachdem Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei dann aber bei den Novemberwahlen eine empfindliche Schlappe erlitt, verzichtete er zunächst darauf, verstärkten Druck auf den Reichswehrminister auszuüben. Zwar behauptete sich die NSDAP als stärkste Partei im Reichstag, aber vielleicht begann sich hier ja bereits ein Niedergang abzuzeichnen, der sich noch forcieren ließ, wenn David seine unermüdliche Arbeit als Wahrheitsfinder fortsetzte.
    »Jetzt sind er und sein ›Kabinett der Barone‹ reif«, sagte David zu Schleicher, als er Mitte November den Zeitpunkt für gekommen sah »Papen abzupflücken«. Anders als Hindenburg, lehnten ihn alle Parteien einmütig ab. Kurt von Schleicher schüttelte die Frucht nun vom Baum. Er wurde beim Reichskanzler vorstellig und empfahl ihm wärmstens, einer Entlassung durch die eigene Demission zuvorzukommen. Zähneknirschend fügte sich Papen in das Unvermeidliche und reichte am 17. November beim Reichspräsidenten seinen Rücktritt ein.
    Endlich hatte David seinen Gegner ausmanövriert, doch was würde als Nächstes geschehen?
    Am Richardplatz 4, wie überall im Land, wünschten die Menschen nichts sehnlicher herbei als eine Wende. Ein Drittel der Deutschen erhoffte sich diesen Umschwung allerdings aus der braunen Ecke, ganz weit rechts in der politischen Landschaft. Die Joleite hatte im Völkischen Beobachter gelesen, dass am Ende sowieso die NSDAP gewinnen werde. Keiner hörte ihr länger als unbedingt nötig zu, nur David zitierte seufzend ein chinesisches Sprichwort: »Ein leerer Sinn ist für alle Anregungen offen.«
    In den Tagen, als Hitler sich mit Hindenburg um eine Beteiligung an der Regierung stritt, steckte ein unbekannter Bote bei den Pratts einen Zettel unter der Tür durch. Die Nachricht war kurz:
     
     
    Muss dich Dienstag dringend am Seecafe sprechen. E. J.
     
    Der Tiergarten im Herzen Berlins war die bevorzugte Rennstrecke der Kindermädchen und ihrer rasanten Windelkutschen. Selbst jetzt, in der Weltwirtschaftskrise, gab es noch genügend

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