Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
schwofen zu jehn«, wie die Berliner es auszudrücken pflegten.
David ließ sich von Rebekka überreden, am Abend eine der legendären Berliner Tanzrevuen zu besuchen. Die frisch gewonnenen theoretischen Kenntnisse sollten danach in einem der zahlreichen Tanzlokale der Friedrichstraße in praktische Übungen umgesetzt werden.
Die Revuegirls gaben ihr Bestes. Quer über die Bühne standen sie Spalier und warfen ihre langen Beine unter den Klängen eines großen und ziemlich lauten Orchesters in die Höhe, dass es einem schwindelig werden konnte.
David war trotzdem nicht richtig bei der Sache, Seine Gedanken galten Edgar Jungs beunruhigenden Berichten. Etwas Großes kam auf das Land zu. Aber was?
Nach der Vorstellung schleppte Rebekka ihn dann in ein nahe gelegenes Tanzlokal, das ihnen von früheren Besuchen mit Sean und Sabrina Griffith her bekannt war. Das Rumbafieber, das die Stadt im letzten Jahr geschüttelt hatte, war zwar schon wieder im Abklingen, aber Rebekka nahm trotzdem jede Gelegenheit wahr, David zu jenen ausgeprägten Hüftbewegungen zu animieren, die dem kubanischen Tanz sein Feuer verliehen.
Die Stimmung in dem glitzernd illuminierten Lokal war ausgelassen, als hätte es nie eine Weltwirtschaftskrise gegeben, die Musik meist flott und immer laut.
Doch mit einem Mal mischten sich Misstöne in das heitere Gelärme. Deutlich vernehmbare Stimmen. An einem runden Tisch in der Nähe wurde offensichtlich gestritten.
Die beiden Kontrahenten waren männlich und standen mit herausgedrückter Brust, die Augen des Gegners fixierend, dicht voreinander. Unterhalb der beiden saß der Zankapfel, um den es bei dieser Auseinandersetzung unüberhörbar ging: eine hübsche Brünette mit nicht mehr ganz zeitgemäßem Pagenschnitt.
»Judensau!«, schrie der eine, ein stämmiger Großer, dessen braune Montur ihn als SA-Angehörigen verriet. »Erst stehlt ihr unser Geld und jetzt wollt ihr auch noch unsere Frauen haben.«
Rebekka griff unwillkürlich nach Davids Hand.
»Lassen Sie die Dame in Ruhe. Sie will nicht mit Ihnen tanzen«, entgegnete der andere, ein dunkelhaariger, schlanker, ebenfalls hoch gewachsener Mann im dunkelgrauen Anzug, und legte seiner verängstigten Begleiterin die Hand auf die Schulter.
David juckte es in den Fingern, dem braunen Platzhirsch Manieren beizubringen. Gerade wollte er sich erheben, als eine aufgeregte Stimme neben seinem Ohr sagte: »Mr Pratt, ich muss Sie dringend sprechen.«
Erstaunt wandte sich David um. Neben ihm stand Heinrich Schildmann, der persönliche Sekretär des Reichskanzlers Schleicher. Mit einer beschwichtigenden Geste bedeutete David dem Mann zu warten und erhob sich von seinem Stuhl Er wollte dem bedrängten Paar am Nachbartisch zu Hilfe eilen, aber es war schon zu spät: Der braune Rüpel holte gerade mit seiner riesigen Pranke aus, um sich den Weg zur Auserkorenen freizuschlagen. Zwar hatte auch der dunkelhaarige Gegner die Fäuste erhoben, aber alle Zuschauer tippten auf dessen K. o. in der ersten Runde.
Die Hammerfaust machte sich auf den Weg, doch nur bleischwer langsam kam sie voran. Der Beschützer der Brünetten war ein aufgeweckter junger Mann. Blitzschnell nutzte er seine Chance und landete eine lange Gerade auf der Nase des SA-Rüpels. Es folgte noch eine zweite. Alsdann schaltete sich die Geschäftsleitung ein.
Das Publikum johlte. Aber einige, und das stimmte David nachdenklich, beschimpften auch den unerwarteten Sieger des Zweikampfes. Der Besitzer zeigte Lokalpatriotismus, indem er nach Verbandszeug für die blutende Nase des Geschlagenen rief und anschließend die Siegerpartei höflich, doch unmissverständlich bat, das Etablissement zu verlassen. Ob echte Sympathie für die braunen Motive des Unterlegenen oder nur die Sorge um das Mobiliar ihn dazu bewogen, ließ sich nicht feststellen, auf jeden Fall gefiel David diese Vergnügungsstätte nun überhaupt nicht mehr.
»Kommt, wir gehen auch«, sagte er zu Rebekka und Schildmann.
Wenig später erzählte der Sekretär in einer Alt-Berliner Kneipe zu Füßen der Nikolai-Kirche, weshalb Kurt von Schleicher ihn in die nächtliche Stadt zum Ausfindigmachen Davids gescheucht hatte.
»Der Tipp mit dem Tanzlokal stammt übrigens von der Familie Blumenthal«, erklärte Heinrich Schildmann.
»Also gut, dann noch mal von vorn. Was genau ist passiert?«, fragte David, der dem aufgeregten Sekretär auf der kurzen Fahrt zur Gaststätte nur wenig hatte entlocken können.
Der Reichskanzler und sein
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