Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Telefon. Er sprach mit Edgar Jung, mit Kurt von Schleicher, mit Wilhelm Krützfeld und noch einigen anderen. Danach hatte er sich ein ungefähres Bild davon gemacht, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte.
Im Gefolge des Reichstagsbrandes war es zu einer Verhaftungswelle gekommen. Göring, der als preußischer Innenminister die entsprechenden Befehle erteilt hatte, musste bereits vorher eine ausführliche Liste der aus dem Verkehr zu ziehenden politischen Gegner besessen haben. Reichlich merkwürdig, dachte David, wenn doch die Brandstiftung angeblich auf das Konto eines gewissen Marinus van der Lubbe ging, eines Mitglieds der »Räte-Kommunisten«. Wilhelm Krützfeld allerdings verdächtigte, trotz eines angeblichen Geständnisses des Niederländers, die SA als wahre Brandstiften Das ergab zwar einen Sinn, war aber nicht zu beweisen.
David brach die weitere Beobachtung Schleichers sofort ab. Richard sollte nicht auch noch im Gefängnis landen. Er machte sich große Vorwürfe. Wenn die Beschattung der Babelsberger Villa nun doch irgendjemandem aufgefallen war und dieser Jemand nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte, sich des lästigen Spions zu entledigen…?
Er solle sich diesen Gedanken aus dem Kopf schlagen, meinte Rebekka. Warum sie denn dann Richard Seybold noch nicht verhaftet hätten? Hier ginge es ganz allein um die alten Gegner aus unzähligen Straßenschlachten, um die Kommunisten. Wie zu hören sei, hätten sich nicht wenige von ihnen dem Zugriff durch die Flucht ins Ausland entzogen. Darunter befand sich auch Bertolt Brecht, wie sie von Sean Griffith wussten.
Allmählich gewann David seine Fassung zurück. Rebekka hatte ja Recht. Die pyromanische »Schandtat am deutschen Volk« konnte durchaus ein hinterhältiger Schachzug Hitlers sein oder einfach eine günstige Gelegenheit für ihn. Dass der neue Reichskanzler diese Situation durchaus zu nutzen verstand, zeigte sich sehr schnell. Noch während im Reichstag letzte dünne Rauchlöckchen zum Himmel emporstiegen, zauberte Hitler wie der Magier sein Kaninchen ein neues Gesetz aus dem Zylinder. Die Notverordnung zum »Schutz von Volk und Staat« und gegen »Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe« legitimierte nachträglich, womit vorsorglich schon in der Nacht begonnen worden war.
Horst Lotter folgten in den kommenden Tagen noch viele weitere Kommunisten und Sozialdemokraten in die so genannte Schutzhaft. Die »Reichstagsbrandverordnung« hebelte sieben Artikel der Weimarer Verfassung aus. Es waren wohl nicht ganz zufällig ausgerechnet jene, welche die bürgerlichen und persönlichen Freiheiten der Deutschen garantierten.
Wie der buchstäbliche Strohhalm in höchster Not erschien da Edgar Jungs Nachricht von der seltsamen Zurückhaltung Papens angesichts der jüngsten Ereignisse. »Fast sieht es mir so aus, als ginge ihm Hitler etwas zu forsch vor.«
David ballte die Fäuste. »Dann bestärke ihn in diesem Eindruck, Edgar. Papen ist ein gefährlicher Intrigant, aber ein unfähiger Politiker. Wenn wir ihn dazu bringen, Hitler zu fürchten und erfolgreich gegen ihn zu kungeln, hätten wir es nachher mit ihm allein wesentlich leichter.«
Edgar wackelte skeptisch mit dem Kopf. »Ich tue wirklich mein Bestes, David. Aber, wie du selbst sagst: Papen ist listig. Wenn er meine wahren Absichten entdeckt…«
Kurt von Schleicher war seit seiner Abdankung kaum wieder zu erkennen. Er wirkte niedergeschlagen, fahrig, hatte Angst. Nur noch selten verließ er sein Haus. Und die Glaskugel rückte er immer noch nicht heraus. Als David ihn am zweiten Sonntag im März besuchte, beharrte der Generalmajor auf seinem eigensinnigen Versteckspiel, als besäße das alte Stück eine geheimnisvolle Zauberkraft, die ihren Besitzer vor allem Bösen schützte. Eine Woche zuvor hatte Hitler bei den letzten freien Reichstagswahlen seine Machtposition weiter ausgebaut, was angesichts der rigorosen Maßnahmen gegen die politischen Gegner nicht verwunderte.
Die Ängste des abservierten Reichskanzlers waren sicher nicht aus der Luft gegriffen. Deshalb beschäftigte sich David nun auch wieder häufiger mit einer eigentlich schon verworfenen Idee. Nur der Umstand, dass weder Lorenzo Di Marco noch die eigenen Nachforschungen im Pergamonmuseum die »Gebrauchsanweisung« für Jasons Träne geliefert hatten, stand einem Einbruch in Schleichers Villa noch im Weg.
Am 23. März besuchten David und Rebekka die Griffiths in Berlin Mitte. Seit der
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