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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Machtergreifung Hitlers war Sean neben Edgar für David zum wichtigsten Informanten geworden. Inzwischen bekleidete der Botschaftsmitarbeiter den Posten eines Handelsattaches. Viel wichtiger aber war, dass er Einblick in geheime Akten hatte. Hitler irritiere die britische Regierung mehr als die politischen Unruhen in Spanien, was zu einer fast schon hektisch zu nennenden Betriebsamkeit des Geheimdienstes Ihrer Majestät führe, vertraute Sean seinem Freund an.
    Am Nachmittag hatte der Berliner Rundfunk die Ergebnisse der zuvor abgehaltenen Reichstagssitzung vermeldet. Ein »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« war verabschiedet worden, das bald unter der griffigeren Formel »Ermächtigungsgesetz« traurigen Ruhm erlangen sollte. Mit seiner Annahme stellten die Parteien die politische Großwetterlage in Deutschland endgültig auf den Kopf. Zwei Tage nach Frühlingsanfang beschlossen sie, es möge hinfort Winter sein. Vier Jahre lang. Für diese Zeit nämlich ließ sich Hitler bestätigen, dass er ohne das hinderliche Gezänk der Parteien das Reich führen dürfe. Die gesetzgebende Gewalt war auf die Regierung, also auf den Reichskanzler, übergegangen. Aus dem Winter sollte eine Eiszeit werden, die einige der Parteien für mindestens ein Dutzend Jahre in Tiefschlaf versetzte. Manche allerdings, die sich am 23. März einen Winterschlaf verordnet hatten, sollten nie wieder daraus aufwachen.
    Obwohl am Abend viele die Folgen dieser politischen Selbstentmachtung des Parlaments nicht abschätzen konnten, schrillten bei David die Alarmglocken. Gleich nach der Rundfunkmeldung hatte er deshalb bei Sean in der Botschaft angerufen. Der Telefonistin war die Stimme des britischen Time-Korrespondenten inzwischen wohl vertraut. Sie stellte David sogleich zum Handelsattache Griffith durch. Die beiden vereinbarten, sich um sieben in der Bergstraße zu treffen. Und da waren David und Rebekka nun.
    Sie hatten das kurze Stück vom U-Bahnhof Friedrichstraße zu Fuß zurückgelegt. Gerade als sie auf das Haus Nummer 70 zugingen, fiel ihnen ein kleiner Mann mit Baskenmütze auf, der in den großen Türflügeln eingeklemmt zu sein schien. Er hatte drei oder vier große Bilderrahmen unter den Armen, ein Fuß ragte auf den Gehweg hinaus, der andere befand sich bereits in der Toreinfahrt.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, erbot sich David und öffnete die Tür, vorsichtig genug, um dem Bilderträger nicht das Gleichgewicht zu rauben.
    »Oh, das ist sehr freundlich«, bedankte sich der Mann. Er besaß dunkle, lebendig funkelnde Augen, eine große gebogene Nase und lächelte, sah aber trotzdem nicht glücklich aus. Auf David machte er den Eindruck eines zerstreuten Künstlers, vermutlich der Maler des sperrigen Guts unter seinen Armen.
    Rebekka musste zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt sein, denn sie fragte unverwandt: »Stammen die Gemälde von Ihnen?«
    Der kleine Mann nickte schüchtern. »Ja. Beinahe möchte ich sagen, leider.«
    »Wieso?« Rebekka zeigte auf ein Bild mit einem weißen Einhorn. »Ich finde, Sie haben einen exzellenten Pinselstrich.«
    »Der in diesem Land anscheinend nichts mehr gilt. Oder wie erklären Sie sich das hier.« Der Mann brachte ein anderes Bild nach vorne, anscheinend ein Elfentanz unter einem Sternenhimmel. Die Leinwand war über Kreuz aufgeschlitzt.
    Rebekka hob die Hände zum Mund. »Oh nein! Das herrliche Bild. Wie ist das passiert?«
    Der Maler fasste offenbar Zutrauen, weil er Rebekkas ehrliche Anteilnahme spürte. »Ich wollte ein paar von den Bildern verkaufen, weil ich mal wieder eine warme Mahlzeit, Farbe und anderes Malgerät brauche. Derzeit arbeite ich mit einem chinesischen Kalligraphiepinsel, der sich nur für Aquarelle eignet. Jedenfalls sind da so ein paar Braunhemden gekommen und haben mich als ›Judensau‹ beschimpft. Dann zog einer sein Messer und schlitzte die Elfen auf Die anderen Bilder konnte ich gerade noch retten.«
    »Darf ich das Bild einmal sehen?« Rebekka deutete auf das Einhorn, dessen Rahmen auf den alten Schuhen des Künstlers ruhte. Der Klang ihrer Stimme hatte sich bei der Frage verändert, ganz unmerklich nur, aber David wusste trotzdem, was nun geschehen würde.
    Der Maler hob das gewünschte Bild hoch, damit Rebekka es im trüben Licht der Gaslaterne besser betrachten konnte.
    »Es ist zauberhaft!«, schwärmte Rebekka. »Die Initialen hier – ›R. R.‹ – stehen für Ihren Namen, nehme ich an.«
    Der Künstler nickte mit verhaltenem Stolz. »Sie

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