Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
zerschlagen können.
Während Rebekka der Kaiserin in ihrem Palast einen Besuch abstattete, unterhielten sich die beiden Männer in einem schlichten Tatami-Zimmer. Zum Abschied überreichte der Tenno David ein kleines Geschenk. Es handelte sich dabei um ein zum Quadrat gefaltetes Blatt Papier aus handgeschöpftem Bütten, zusammengehalten durch eine Seidenschnur und gerade halb so groß wie eine Postkarte. Obenauf prangte in kräftigem Rot der kaiserliche Stempel.
»Was ist das?«, fragte David.
»Ein Schlüssel«, antwortete Hito mit geheimnisvollem Lächeln.
David runzelte verwundert die Stirn.
»In Gestalt eines kaiserlichen Empfehlungsschreibens«, präzisierte Hito, dem Davids Ratlosigkeit Vergnügen zu bereiten schien. »Wenn du es irgendeinem meiner ›Söhne‹ zeigst, wird ihn nichts glücklicher machen, als dir zu Diensten zu sein.«
Mit einem gemurmelten Dank ließ David den Freibrief des Tennos in seiner Brusttasche verschwinden. Wegen des Geschenkes hatte er gemischte Gefühle. Jede Form der Menschenverherrlichung erregte seinen Widerwillen. Aber es war ein Gebot der Höflichkeit, dies dem Freund nicht gerade jetzt zu sagen. Zumal ihnen kaum genug Zeit blieb, um mit gebührendem Anstand voneinander Abschied zu nehmen. Hitos Geheimsiegelbewahrer hatte die Audienz auf eine Stunde begrenzt. Selbst diese kurze Frist war schon ein großes Zugeständnis an des Kaisers alten Freund. Sollte es je einer wagen, dem Volk zu verraten, wie wenig der Tenno über sein eigenes Leben bestimmen dürfe, würden die aufgebrachten Massen den Ärmsten vermutlich massakrieren, bemerkte Hito entschuldigend.
David kannte das enge Korsett, das die weisen Staatsmänner und vor allem die Militärs dem Tenno angelegt hatten. Im Hinblick auf den immer bedrohlicher werdenden Nationalismus im Land riet er dem Freund, diese Fesseln notfalls zu sprengen. Man habe ihn zwar zu einem Gott gemacht, um das gemeine Volk zu widerspruchslosem Gehorsam zu erziehen, aber irgendwann werde Hirohito vielleicht auf seine »göttliche Autorität« pochen müssen, um großes Unheil abzuwenden.
»Ich habe mich nie wie ein Gott gefühlt, David-kun«, sagte Hito. In seinen Augen lag ein melancholischer Ausdruck.
»Das ist gut«, antwortete David, »Gut für dich, mein Freund. Es könnte der Tag kommen, da du deiner Göttlichkeit abschwören musst, damit die radikalen Kräfte dieses schöne Land nicht in deinem Namen restlos ruinieren.«
Am Montag, dem 5, August 1929, legte die Misogi vom Yamashita-Pier in Yokohama ab, David und Rebekka waren am frühen Morgen mit dem Zug nach Kisarazu gefahren und hatten dort eine Fähre bestiegen, die sie in unmittelbarer Nähe ihres Hochseedampfers absetzte. Erst als die Küstenlinie von Honshu am westlichen Horizont versank, gönnte sich David ein verhaltenes Aufatmen, Fürs Erste durften sich er und Rebekka sicher fühlen. Zwar litt er noch unter Yoshis Verlust, aber seine Gedanken fanden allmählich wieder Raum, sich auf ein anderes Problem zu konzentrieren.
»Ich mache mir Sorgen um Brit.«
Er stand mit aufgestützten Unterarmen an der Reling, Rebekka hatte sich bei ihm eingehakt und ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Gemeinsam blickten sie nach Westen.
»Schick doch einfach ein Telegramm nach New York und erkundige dich bei Henry nach dem neuesten Stand der Dinge«, schlug sie vor.
»Gute Idee.«
»Danke. Wie man sieht, sind Frauen auch zu etwas nütze.«
David zog Rebekka zu sich heran und küsste sie lang und innig. »Du bist ein Teil von mir – mein kostbarster Schatz, Ich wünschte nur, ich könnte dir ein besseres Leben bieten. Ständig hetzen wir durch die Welt, sind immer auf der Flucht. Ich…«
»Schschsch!«, machte Rebekka und legte ihm ihren Finger auf den Mund. »Sag jetzt nichts. Wir beide sind hier zusammen auf diesem Schiff und können dem Stillen Ozean lauschen. Es gibt vermutlich wenige Frauen, die mit ihrem Mann solche Augenblicke erleben dürfen. Das entschädigt mich für vieles, Liebster.«
Nach einer langen schweigenden Umarmung warf sie den Kopf in den Nacken, legte das Kinn gegen Davids Brust und sagte: »Kannst du diesen Augenblick nicht einfach anhalten? Du bist doch ein Verzögerer.«
Er musste lächeln und küsste ihre keck vorgestreckte Nasenspitze. »Wenn ich alle Kraft zusammennähme, ließe sich das vielleicht bewerkstelligen – für etwa eine Minute.«
Sie seufzte vernehmlich. »Schade. Ich glaube, das lohnt die Anstrengung nicht.«
David gab sich
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