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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aus und stieg in das dunkle Haus hinauf. Die alte Villa verfügte neben dem Erdgeschoss über zwei weitere Stockwerke. Zum Glück schien der Mond durch die Fenster und David war daher nicht allein auf seine Sekundenprophetie angewiesen, um verräterisch laute und zugleich schmerzhafte Zusammenstöße mit scharfkantigen Antiquitäten zu vermeiden.
    Stockwerk für Stockwerk schlich er sich die knarzenden Stufen empor. Hier, direkt unter dem Dachgeschoss, war er bisher nur ein einziges Mal gewesen. Er umrundete einen Ahornschrank, um zur Dachbodentür zu gelangen. Dort oben herrschte bestimmt ein ähnliches Durcheinander wie im Keller. Die Glaskugel in all dem Plunder aufzuspüren glich der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen…
    Mit einem Mal, Davids Hand lag schon auf der Türklinke, verharrte er. Ganz langsam drehte er sich wieder zu dem schmalen Möbel um, das wohl nur deshalb hier im Flur stand, weil Schleicher dafür keinen anderen Platz gefunden hatte. Es handelte sich um einen wuchtigen aufklappbaren Sekretär. Für Keller oder Dachspeicher musste das altehrwürdige Stück dem General zu schade gewesen sein.
    David näherte sich dem Möbel wie einem scheuen Tier, das man nicht aufschrecken will. Im silbernen Licht des Mondes sah er viele kleine Punkte auf dem grau schimmernden Holz. Vogelaugenahorn. Ahorn!
    Das Ahornblatt zierte die Flagge Kanadas, das vor drei Jahren mit dem Statut von Westminster seine Unabhängigkeit vom britischen Mutterland gewonnen hatte. Und Schleicher wollte während der Genfer Fünfmächtekonferenz einen Teil der Souveränität Deutschlands wiedergewinnen. Die Glaskugel war für ihn bis zuletzt ein persönliches Symbol der Selbstbestimmung gewesen. Frei sein von Erpressung, Furcht, von Papen…
    Schnell öffnete David die Klappe des Sekretärs und begann hastig die vielen kleinen Schubladen aufzuziehen. Doch seine Finger fanden nur Papiere, Schreibutensilien… Da! Er hatte etwas Kaltes berührt.
    Noch bevor David den Gegenstand ganz ins Mondlicht gehoben hatte, bemerkte er schon seinen Fehlgriff. Es war nur ein gläsernes Tintenfass. Enttäuscht, mit leerem Blick starrte er auf die offen stehenden Fächer. Fehlanzeige. Aber so schnell wollte er nicht aufgeben.
    Er befeuchtete seine Lippen und sagte leise, doch in beschwörendem Ton: »Wenn du Jasons Träne verborgen hältst, dann sollst du augenblicklich weiß werden.«
    David musste einen Jubelschrei unterdrücken, als das Holz im Mondlicht plötzlich hell erstrahlte. »Gut«, sagte er. »Alles zurück.« Der Schrank nahm wieder seine alte Färbung an. »Wenn du die Kugel hier versteckt hältst«, David deutete auf die linke Seite über der Schreibplatte, »dann werde weiß.«
    Der Schreibschrank behielt seine Farbe. »Na schön. Dann die andere Seite. Wenn die Kugel darin steckt, dann soll der Sekretär die Farbe des Schnees annehmen.« Wieder weigerte sich das Möbel, der Aufforderung nachzukommen. »Du willst es also auf die Spitze treiben«, sagte David drohend. »Also gut, dann werde deine Mitte weiß, wenn Jasons Träne dort verborgen ist.«
    Das reich verzierte Mittelsegment des Schreibschrankes gehorchte aufs Wort. Aufgeregt begann David das hell schimmernde Schnitzwerk abzutasten. Er drückte, drehte und zog an diversen Vorsprüngen, kleinen Gesichtern und Blumenornamenten…
    Klick! Plötzlich war das Türchen aufgesprungen. Das Geheimfach befand sich unter einer stilisierten Sonnenblume. Davids Hand tauchte in ein schmales dunkles Fach – und berührte etwas Kühles, Rundes.
    Sie war es! Er hatte die Kugel gefunden! Fast wären ihm die Knie weggeknickt, so erleichtert fühlte er sich. Fasziniert blickte er auf die kleinen Lichttrabanten, die Jasons Träne im Mondlicht wie Gesichter umtanzten. Schon einen Atemzug später steckte er das kostbare Stück in einen mitgebrachten Stoffbeutel. Erst einmal musste er sich selbst in Sicherheit bringen. Dann konnte er seine Beute bewundern. In diesem Moment hörte er von unten ein Klappen.
    Eine Tür! Jemand musste sich im Haus befinden. War das nur eine Routinekontrolle der Geheimpolizisten oder hatte er sich doch durch irgendetwas verraten? Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Reichlich zielbewusst für einen normalen Kontrollgang.
    Fieberhaft suchte David nach einem Ausweg. Nach unten konnte er nicht. Wenn er die Tür zum Dachboden öffnete, würde ihn bestimmt ihr Knarren verraten. Das Haus war wie ein alter Mensch, der bei jeder Bewegung klagte. Die Schritte

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