Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
nur wenige Tage anhalten, bevor ein furchtbarer Schlag seiner Hochstimmung ein Ende bereitete.
David hatte sich mit Edgar Jung im U-Bahnhof Tauentzienstraße verabredet, um das weitere Vorgehen gegen Hitler zu besprechen. In dunkelgrauem Anzug saß er da wie ein Bankangestellter, der auf den nächsten Zug wartete.
Die vereinbarte Uhrzeit war fünf Uhr nachmittags gewesen. Um sechs bestieg David den Zug nach Hause. Eigentlich hätte er nicht länger als zwanzig Minuten warten dürfen. Diese Regel war von ihm selbst aufgestellt worden. Aber eine böse Vorahnung hatte ihn auf dem Bahnhof festgehalten.
Edgar Jung war nicht gekommen. Und er sollte nie mehr zu einem Treffen erscheinen. Einige Telefonate brachten Gewissheit. Man hatte ihn verhaftet. Aus seiner Feder war die Wahrheit geflossen, für die notorischen Lügner an der Macht Grund genug, sich seiner zu entledigen. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die Parade gegen die Nazis war abgewehrt. Nun folgte Hitlers Riposte.
Die ganze Aktion wurde von den Nationalsozialisten und den gleichgeschalteten Zeitungen als »Niederschlagung des Röhm-Putsches« deklariert. Erst Tage später konnte sich David ein ungefähres Bild vom tatsächlich Vorgefallenen machen. Einige Hintergrundinformationen dazu stammten vom Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld und anderen Berliner Zuträgern. Die wirklich schockierenden Details lieferte aber der britische Geheimdienst. Sean Griffith hatte David aus Hamburg über die Relaisstation »Väterchen« einen kodierten Brief geschickt. Als David den Berliner Agentenführer mit dem konfrontierte, was er bereits wusste, schloss Ayckbourn die letzten Lücken.
Es werde verbreitet, die SA habe versucht gegen Hitler zu putschen. Ernst Röhm, der Stabschef der Sturmabteilung, sei ja schon früher für seine Aufsässigkeit bekannt gewesen. Doch weil Hitler niemand wirklich Mächtigen neben sich duldete, habe er nach dem Grundsatz gehandelt: »Es kann nur einen geben.« Das jedenfalls war Väterchens Version von dem, was sich am 30. Juni und 1. Juli 1934 zugetragen hatte. Hitler habe sich mit seiner als »Staatsnotwehr« getarnten Mordaktion nur der widerspenstigen SA-Spitze sowie weiterer missliebiger Personen entledigen wollen. Zu diesem Zweck ließ er die Betreffenden kurzerhand umbringen.
David war entsetzt, als ihm Väterchen eine Liste der Ermordeten zeigte. Einige der Namen waren ihm wohl bekannt: Kurt von Schleicher und Ehefrau, Edgar Jung…
Lange saß er nur mit geschlossenen Augen da und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Jeder, den er ins Vertrauen zog, schien zum Tode verurteilt zu sein. David machte sich schwere Vorwürfe.
Die Glaskugel! , schoss es ihm nach einer Weile durch den Kopf. Sie musste noch in Schleichers Versteck sein. Es sei denn…
»Und was ist mit Papen?«, fragte David just in dem Augenblick, als der Agentenführer dazu ansetzte, wieder etwas aufzurichten.
Väterchen hob die buschigen Augenbrauen. »Woher wissen Sie, dass er auch umgebracht werden sollte?«
»Reine Vermutung. Seine Rede vor dem Marburger Universitätsbund soll bei Hitler ja nicht besonders gut angekommen sein.«
Väterchen erwiderte mit ausdruckslosem Gesicht: »Ich möchte zu gern wissen, wie Papen seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Vermutlich hat er seinen Posten als Vize in die Waagschale geworfen. Der letzte Nicht-Nazi verlässt freiwillig die Regierungstruppe, dieses Angebot muss Hitler zupass gekommen sein. Jedenfalls hat Papen drei Tage nach dem Putsch offiziell das Handtuch geworfen. Hitler äußerte sein Bedauern und nahm den Rücktritt an. Wo Papen im Moment ist, kann ich nicht sagen, aber nach unseren Informationen lebt er noch, wenn auch – sozusagen – auf Eis gelegt.«
David fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schüttelte den Kopf. Was für ein bitterer Triumph! Das habe ich nicht gewollt, Edgar. »Anscheinend hat Hitler sich da eine hübsche Mörderbande zusammengesucht. Jetzt kann ihn wohl niemand mehr stoppen.«
David fuhr mit der S-Bahn nach Neubabelsberg. Allein. Rebekka hatte wie üblich darauf bestanden, ihn zu begleiten, aber diesmal war David hart geblieben.
»Ich könnte verhaftet werden. Dann musst du ohne mich aus Deutschland fliehen. Warte bei den Blumenthals, bis ich wieder zurück bin.«
Mit versteinerter Miene sah er durch das Zugfenster auf die nächtlichen Straßen hinaus, im Licht der Gaslaternen bot sich ihm ein scheinbar friedliches Bild. Die Zeitungen quollen über von
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