Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
im Wohnungsflur stattgefunden hatte, steuerte er die Küchentür an. Über dem Tisch befand sich eine helle Lampe, in deren Schein packte David die Glaskugel aus. Das Paar betrachtete gebannt das seltsame Lichtspiel.
Die Kugel warf das schon bekannte Rosettenmuster auf die Tischplatte, das Walter Andrae zu der irrigen Annahme verleitet hatte, bei dem Glaskörper handele es sich um einen Schablonenstein. Jetzt, nach der Restaurierung, konnte man aber dazu noch eine Spur feiner Bläschen erkennen, die den polierten Gegenstand von Pol zu Pol durchzog. Als David die Kugel anhob, stiegen mit ihr auch die ovalen Lichtflecke auf, die sie noch auf der Tischplatte wie ein Dutzend Blütenblätter umringt hatten. Nun schwebten sie etwas unterhalb des Glaskörpers frei in der Luft und wirkten dabei erstaunlich plastisch.
»Wie zwölf kleine Monde, die einen Planeten umkreisen«, flüsterte Rebekka fasziniert.
»Nein, wie zwölf Gesichter einer Tafelrunde«, entgegnete David grübelnd. Im Mondlicht waren ihm diese viel deutlicher erschienen.
»Tatsächlich! Manche der Trabanten haben überhaupt keine Zeichnung, aber auf anderen kann man so etwas wie Augenhöhlen, einen Mund oder eine Nase erkennen.«
Rebekka fuhr mit der Hand durch die Lichterscheinung, einfache helle Flecken wanderten über ihre Haut.
»Nicht«, sagte David schnell und zog die Kugel weg.
»Was ist?«
»Ich weiß es nicht.« Schnell steckte er den seltsamen Gegenstand wieder in den Stoffbeutel zurück. »Ich will einfach keine Experimente mit dieser Kugel anstellen, bevor wir wissen, wie sie ursprünglich verwendet wurde. Immerhin schreibt Jason ja, man könne Lord Belial mit ihr herbeirufen. Überleg mal, er würde plötzlich hier auftauchen.«
Rebekka wurde bleich. »Daran hatte ich nicht gedacht…«
»Schon gut«, beruhigte David sie. »Im Bügelzimmer gibt es eine lose Diele. Ich schätze, darunter ist die Glaskugel fürs Erste sicher aufgehoben.«
Rebekka nickte, als könne sie den geheimnisvollen Gegenstand plötzlich nicht schnell genug aus den Augen bekommen.
Während David mit einem Zimmermannshammer behutsam die Diele anhob, gingen ihm zahllose Fragen durch den Kopf. Ob die Kugel wirklich einmal die Gesichter der Geheimzirkelmitglieder widergespiegelt hatte? Warum waren dann einige unkenntlich, fast wie ausradiert? Konnte man Jasons Träne dazu bringen, auch Belials heutige Logenbrüder zu zeigen…?
Olympische Maskerade
Wie Deutschland im Großen, so hatte auch das Haus am Richardplatz im Kleinen unter der nationalsozialistischen Machtübernahme gelitten. Wo früher Lebensfreude und fröhliches Miteinander geherrscht hatten, breitete sich nun im Gefolge von Misstrauen und Verdächtigungen Friedhofsruhe aus.
In Mia Kramers Wohnung war ein Parteifunktionär namens Hugo Kaltes eingezogen.
Selbstverständlich trug auch er ein kleines Hitler-Bärtchen und verstand sich trefflich mit Gottfried Herz, dem Blockwart.
Da David in der Entschlüsselung der Geheimnisse von Jasons Träne nicht weiterkam, kümmerte er sich wieder verstärkt um einen Termin beim Reichspräsidenten. Der unbekannte Besucher in Schleichers Villa konnte nur ein Handlanger Papens gewesen sein, vielleicht sogar derselbe, der schon einmal dort herumgeschnüffelt hatte.
Davids Gegner musste ziemlich unter Druck stehen, wenn er ein solches Wagnis einging, noch dazu unter den Augen der Geheimpolizei.
Vielleicht hatte die Neutralisierung von Hindenburgs Protege Papen sich positiv auf die Gesprächsbereitschaft des Generalfeldmarschalls ausgewirkt, jedenfalls ließ er David durch seinen Staatssekretär ausrichten, dass er am 4. August in Neudeck für ein Interview bereitstehe. Der hochbetagte Reichspräsident fühle sich nicht wohl und suche »in der guten ostpreußischen Luft Linderung«, erklärte Otto Meißner.
Eine kleine Luftveränderung konnte ihm und Rebekka auch nicht schaden, dachte David hoffnungsvoll. Paul von Hindenburg hatte Reichskanzler eingesetzt und entlassen wie einfache Adjutanten. Der alte Haudegen genoss im Volk immer noch großes Ansehen.
David fiel aus allen Wolken, als dann am 2. August 1934 über den Rundfunk das Ableben des Reichspräsidenten gemeldet wurde. Zwei Monate später wäre Hindenburg siebenundachtzig geworden. Ein Tor, wer da behauptete, der Kreis der Dämmerung hätte…
David kämpfte gegen den Gedanken an. Er wollte nicht enden wie sein Vater, der zuletzt hinter dem Tod eines jeden Menschen ein Mordkomplott des
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