Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
einer mit Ölfarbe gestrichenen Wand mit Ablaufrinne. Aus einem der Kloverschläge drangen jedoch unzweideutige Geräusche. David überlegte einen Moment. Sollte er warten, bis…? Nein, er musste seinen Vorsprung nutzen.
Schnell stieg er auf das Waschbecken. Von oben blickte er auf einen Mann mit hochrotem Gesicht herab, der von einer Kloschüssel entgeistert zu ihm heraufstarrte.
»Reichsgesundheitsamt«, sagte David streng. »Routinemäßige Kontrolle. Sie benutzen doch die amtlich vorgeschriebene Zahl von mindestens acht Blatt Toilettenpapier?«
Der Mann auf der Klobrille nickte eifrig.
»Gut«, erwiderte David zackig. »Machen Sie weiter.«
Damit öffnete er das Fenster unter der Decke, zog sich hinauf und entschwand dem Blick des staunenden Toilettenbenutzers. Sekunden später stand er im Lichthof an der Rückseite des Restaurants.
»Mantel, leb wohl«, sagte David mit leiser Wehmut in der Stimme. Im nächsten Augenblick lag der Hof verlassen da wie zuvor.
Es war schon erstaunlich, was David da für den Secret Intelligence Service innerhalb kürzester Zeit in Erfahrung gebracht hatte, wenn auch das meiste davon nur lang gehegte Vermutungen bestätigte. Schon im Fünfundzwanzigpunkteprogramm der NSDAP von 1920 hatte Hitler seinem Wunsch Ausdruck verliehen, den Lebensraum für das deutsche Volk zu erweitern. In aller Regel zieren sich souveräne Staaten, wenn man sie bittet, einen Teil ihres Territoriums an ein anderes Land abzutreten. Deshalb konnte das erklärte Ziel der Nazis nur erreicht werden, indem Deutschlands Grenzen auf unrechtmäßige Weise – notfalls eben mit Krieg – erweitert wurden.
David legte Väterchen bei ihrem Abschiedstreffen technische, strategische und politische Informationen vor, die es in sich hatten. Die militärische Aufrüstung Deutschlands lief auf Hochtouren. Dabei schien sich Hitler um die mit anderen Nationen ausgehandelten Rüstungsbeschränkungen einen feuchten Kehricht zu scheren. Der Versailler Vertrag war ja sowieso nur Papier, für den »Führer« also nichtig.
Zur schieren Menge von Waffen und Soldaten kam noch der sprichwörtliche deutsche Erfindergeist hinzu. David berichtete Väterchen von einer vor wenigen Monaten erfolgreich getesteten Flugmaschine, die geradezu Unmögliches zu vollbringen vermochte. Dieser so genannte Hubschrauber des Ingenieurs Heinrich Focke konnte senkrecht starten und landen.
»Ach was!«, sagte Väterchen.
Doch, bekräftigte David. Das Ding könne sogar regelrecht in der Luft stehen bleiben, ohne herunterzufallen.
Väterchen glaubte das zwar nicht, aber er durchschaute sofort den militärischen Nutzen derartiger Fluggeräte. »Damit könnte man Soldaten und militärisches Gerät an so ziemlich jedem Ort abladen und wieder aufnehmen, sich an Panzer heranschleichen, von Schiffen aus operieren…«
David nickte. »Die Heinkel-Werke sollen sogar an einem streng geheimen Projekt zur Konstruktion eines Flugzeuges mit Strahltriebwerken arbeiten.«
»Was ist denn das?«
»Stellen Sie sich ein Fluggerät vor, das auf einer Feuerwerksrakete mit langer Brenndauer reitet und am Schluss nicht explodiert.«
»Sehr witzig.«
»Wenn das Strahltriebwerk wirklich in den nächsten zwei Jahren funktionstüchtig ist, dann werden die Heinkel- oder Messerschmitt-Maschinen – oder wo immer auch diese Dinger eingebaut werden – herkömmliche Propellerflugzeuge um ein Mehrfaches an Geschwindigkeit übertreffen.«
»Die Deutschen sind ziemlich konsequent. Sollten sie sich das vorgenommen haben, werden sie es auch realisieren.«
»Hier sind alle Unterlagen, unter anderem ein Dossier über Hans Joachim Pabst von Ohain, dem Physiker, der das Projekt maßgeblich vorantreibt. Ich habe da auch noch ein paar andere Informationen, die Sie interessieren dürften.«
»Zum Beispiel?«
»Abgesehen von dem technischen Kram eine ziemlich brisante politische Sache.«
»Sie machen mich neugierig, David.«
»Deutschland will Österreich schlucken.«
»Das ist nicht neu. Seit der Dollfuß-Affäre pfeifen es die Spatzen von den Dächern.«
»Die NS-Presse hat im Juli 1934 nicht viel darüber geschrieben: Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß bei einem angeblichen Umsturzversuch der Nationalsozialisten in Wien. Sei natürlich alles erstunken und erlogen – Sie kennen ja den Ton im Völkischen Beobachter. Was ist denn nun wirklich mit den Putschisten geschehen?«
»Die wurden stante pede zum Tode verurteilt, weil sie den
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