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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bekommen konnte, dann hier.
    Das Rathaus wirkte auf David wie ein riesiger italienischer Stadtpalast – Fenster, Gesimse, Säulen, Giebel, Nischen mit Steinfiguren und noch einmal Fenster. So breit die ganze Fassade war, so hoch ragte auch der große Turm in der Mitte auf: weit über hundert Meter. Das Gebäude war ein steingewordenes Symbol des Reichtums der Stadt.
    Durch ein prachtvoll geschmücktes schmiedeeisernes Portal gelangte David zunächst in einen großen achteckigen Raum, der sich direkt unter dem Uhrenturm befand. Von dort betrat er die riesige Eingangshalle des Rathauses, die von den traditionsbewussten Hamburgern »Diele« genannt wurde. Unwillkürlich musste David zu dem Kreuzrippengewölbe emporblicken, das von kompakten Sandsteinsäulen getragen wurde. Das letzte Mal, als er dieses Gebäude – allerdings von außen – bewundert hatte, war Rebekka an seiner Seite gewesen.
    Rechter Hand mündete die Diele in einen Treppenaufgang, zu beiden Seiten von Löwen flankiert, die das Stadtwappen trugen. Ein schmiedeeisernes Tor verwehrte Unbefugten den Zutritt zum Senatstreppenhaus. Doch so weit wollte David gar nicht gehen. Er blieb vor einer Pförtnerloge stehen, und während er noch überlegte, ob er nun nach dem Ordnungsamt oder der örtlichen Zweigstelle des Referats für »Rassenhygiene« fragen sollte, fiel ihm wieder ein, dass ja Samstag war.
    Als er den Pförtner daraufhin ansprach, sagte dieser erwartungsgemäß: »Kommen Sie Montagmorgen wieder. Vorher ist nichts zu machen. Tut mir Leid.«
    Ihm war, als sei seine Seele leckgeschlagen, seine Kraft rann davon. Entmutigt machte er kehrt. Vor dem Ausgang blieb er stehen und kämpfte gegen die Tränen an. Plötzlich ertönte das helle Klingen einer Glocke. Er sah nach oben und erblickte über der Tür eine von schmiedeeisernem Rankenwerk umrahmte Uhr und darüber eine Bronzeglocke, umgeben von Figuren, die David unweigerlich frösteln ließen.
    Rechts schlug eine Mutter, mit dem Kind auf dem Schoß, jede Viertelstunde die Glocke an. Links jedoch wachte Gevatter Tod über die Zeit, an seinem blanken Schädel unschwer zu erkennen.
    David schauderte. Meine Lebensuhr! Als hätte der Künstler das Jahrhundertkind im Sinn gehabt. Jetzt entdeckte er auch einen Hahn zwischen den eisernen Blättern und Blüten, die das Ziffernblatt unter der Glocke schmückten. Auf der anderen Seite saß ein Uhu, der Vogel der Nacht. Hatte nun auch für ihn, David, die Nacht seines Lebens begonnen, eine Zeit der Dunkelheit und Leere?
    Rasch senkte er den Blick. Auf der Tür vor ihm befand sich ein kleines weißes Emailleschild mit schwarzen Buchstaben.
     
    STOSSEN
     
    Die Aufforderung musste aus Tagen stammen, als die deutsche Sprache noch nicht in ein Gefängnis aus strengen Regeln eingepfercht worden war. Und Menschen noch nicht in Lagern aus Stacheldraht.
    Zornig stieß David die erste Tür nach draußen auf und wenige Schritte später auch die zweite. Nun befand er sich wieder auf dem weiten Vorplatz des Rathauses. Gierig atmete er die frische Luft.
    Was jetzt? Er war der Verzweiflung nahe. Man hatte ihm Rebekka entrissen, einen Teil seiner selbst. In der rauen See der Wirklichkeit hatte er sich innerhalb von Stunden in ein Schiff verwandelt, das antriebslos vor sich hin dümpelte und jeden Moment kentern konnte. Wie oft hatte er von der Symbiose zwischen ihm und Rebekka, diesem einzigartigen Menschen, gesprochen! Aber nun erlebte er die schrecklichen Konsequenzen, die sich aus der Zerstörung dieser natürlichen Gemeinschaft ergaben.
    Nein, er hatte keinen Sieg gegen Belial errungen. Der Jesuit war der Gewinner. Über den Tod hinaus.
    Nach einer schwer zu bemessenden Zeit, die David auf einer Brücke am Rande der Alster zubrachte – einem Lebensmüden ähnelnd, der sich nicht entscheiden konnte, ob er hinabspringen sollte oder nicht –, gelang es ihm endlich, seine Gedanken wieder zu ordnen. Er wollte nicht bis Montag warten, um von amtlicher Seite eine Auskunft über Rebekkas Verbleib zu erhalten und dann vielleicht nur noch ihren Tod bestätigt zu bekommen. Wenn sie wirklich in irgendeinem Gestapo-Keller festgehalten, verhört und gefoltert wurde… Er mochte nicht weiter darüber nachdenken.
    Sean Griffith! Der Secret Intelligence Service. In einem Land der Propagandakulissen konnten vielleicht wirklich nur noch die Spione einer fremden Macht die Wahrheit ans Licht bringen. Andererseits erinnerte sich David noch sehr gut an seine gegenüber Rebekka geäußerten

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