Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
der er – in schriftlicher Form – fähig war. Wilhelm Canaris und sein Mitarbeiter Hans Oster hatten sich im Frühjahr 1937 als ausgesprochen aufgeschlossen gegenüber Davids Zielen erwiesen. Nun musste sich zeigen, ob sich Canaris, der erst kürzlich zum Admiral befördert worden war, seinen Gerechtigkeitssinn bewahrt hatte.
Nach einigen einleitenden Worten, in denen David auf die ganze Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes und auf die Schuld oder Mitverantwortung jedes Angehörigen dieses Systems einging, kam er auf den eigentlichen Anlass seines Briefes zu sprechen.
Deshalb flehe ich Sie an, dem ganzen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Mit dem Funkcode der deutschen U-Boote könnten tausende, nein, Millionen von Menschenleben gerettet werden. Man hat mir versichert, dass es nicht darum geht, die U-Boot-Besatzungen auf den Meeresgrund zu schicken. Es sollen einzig und allein keine Geleitzüge mehr torpediert werden.
Damit hatte David seinen Teil des Handels mit Admiral Durban erfüllt. Dem offiziellen Abschnitt fügte er noch eine persönliche Bitte an. Er schilderte das tragische Verschwinden seiner Frau, listete eine Reihe von Fakten auf, die hilfreich sein konnten, um Rebekka zu finden, und machte klar, dass er eine Verstrickung Papens in die gegen ihn gerichtete Verschwörung für mehr als nur wahrscheinlich hielt. Am Schluss flehte er Canaris an, ihm zu helfen.
Nun lag es nicht mehr in seiner Hand, Rebekka dem Rachen der Bestie zu entreißen. Alles, was ihm zu tun blieb, war abzuwarten und zu beten.
Nervenkrieg
Das Sichten, Sortieren und Bewerten von Funksprüchen gehört nicht gerade zu den aufregendsten Tätigkeiten, die man sich vorstellen kann. Deshalb musste David sehr viel Selbstdisziplin beim Durchforsten ganzer Berge von Papieren aufbringen, von denen die meisten eher geringe Bedeutung hatten. Die Anforderung von Verbandszeug, Socken, ja, selbst von Anforderungsformularen erschien ihm nicht unbedingt kriegsentscheidend.
Hin und wieder stieß er bei seiner Arbeit allerdings auch auf Informationen, die es ihm eiskalt über den Rücken laufen ließen. Etwa wenn vom Einsatz von SS-Totenkopfschwadronen in eroberten Gebieten und deren Vorgehen gegen die »jüdisch-bolschewistische Intelligenz« berichtet wurde: Die Menschen wurden massenweise exekutiert. Dieser Vernichtungskrieg begann im Frühjahr 1941 Gestalt anzunehmen, während die Nachschublinien der Alliierten im Atlantik immer mehr unter deutschen Druck gerieten.
Am 29. April – David befand sich gerade in Baracke vier, der Caféteria – traf eine streng geheime Nachricht aus Deutschland ein. Sie war mit einem Code chiffriert, der in den Baracken drei, sechs und acht für ziemliche Verwirrung sorgte. Bis Hugh Alexander die Meldung auf den Tisch bekam und die Losung »Exterminans« las. Dieselbe Bezeichnung war inzwischen auch zum Namen für die gesamte Operation geworden, von der im Camp nur ganze fünf Personen wussten.
Alexander ordnete unverzüglich die Dechiffrierung mit dem Spezialschlüssel an und schickte einen Sergeanten zur Caféteria. Derlei Störungen beim Essen waren selten. David sprang sofort von seinem Essen auf und folgte dem Offizier zum D-Block.
»Ihre Antwort ist da. Sie wird gerade dechiffriert«, begrüßte ihn Alexander. Auch Alan Turing befand sich in dem handtuchschmalen Büro. Als Leiter der Abteilung gehörte er zum engen Kreis der Eingeweihten.
Alexander bot seinen Gästen Kaffee an, aber weil alle wussten, wie der schmeckte, konnte sich keiner zu einem Ja durchringen. Nach ungefähr fünfzehn Minuten kam endlich ein WRNS-Mädchen mit einem braunen Umschlag, auf dem in großen Buchstaben das Wort »Exterminans« stand.
Nachdem die Mitarbeiterin den Raum wieder verlassen hatte, öffnete Turing das Kuvert und überflog den dechiffrierten Text. David sah seine Augen größer werden, dann folgte auch eine verbale Reaktion.
»Ja!«
Es war nur ein einziges Wort, aber ein wahrer Triumphschrei. Alan wollte den Text an Alexander weiterreichen, doch der deutete auf David und sagte: »Das ist ganz allein Pratts Verdienst. Lass erst mal ihn die frohe Botschaft lesen.«
Ungeduldig nahm David das Formular entgegen und las den dechiffrierten Text. Die Nachricht war kurz und knapp. Sie enthielt die zu einem vorherbestimmten Zeitpunkt erwartete geografische Position des deutschen Unterseebootes U110. Sonst nichts. Kein Wort über Rebekka. Enttäuscht reichte David das Blatt an Hugh Alexander weiter und
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