Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Aufmacher über die Bedrohung der Demokratie durch homogene Wählergruppen wie den Klan. Und die Washington Post titelte: »Angriff auf die Pressefreiheit – Ku-Klux-Klan baut Zeitungsimperium auf«.
Nachdem die »Leithammel« auf der amerikanischen Pressewiese erst einmal lautstark zu blöken begonnen hatten, stimmte auch die restliche Zeitungsherde in den Lärm ein. Sogar etliche Radiostationen sendeten Berichte über das verwerfliche Treiben des Klans im Allgemeinen und Lucius Kelippoths im Besonderen.
David konnte zufrieden sein. Während er in Columbia Heights am Fenster saß und zur Brooklyn Bridge hinüberblickte, entwarf er Folgeartikel für seine Anti-Kelippoth-Kampagne, brachte sein Schattenarchiv auf den neuesten Stand und schmiedete Zukunftspläne. Obwohl die Woche vor der Abreise nach Europa mit Arbeit angefüllt war, kam sie David doch fast wie Urlaub vor. Er war mit Rebekka zusammen, ihr Versteck schien sicher zu sein und sogar das spätsommerliche Wetter spielte mit. Hin und wieder unternahmen sie Spaziergänge am East River und beobachteten den Malermeister Herbst beim Umfärben der Blätter. Manchmal lehnte David sich auch einfach nur am Schreibtisch zurück, blickte aus dem Fenster und ließ die Atmosphäre des Viertels auf sich wirken.
Auf der anderen Seite des East River lag Manhattan, ein brodelnder Kessel, der vierundzwanzig Stunden am Tag unter Druck zu stehen schien. In Brooklyn war es ruhiger, fast beschaulich. Natürlich wusste David, dass dieser Stadtteil auch eine andere Seite hatte. Hier war Al Capone aufgewachsen, jener berüchtigte Mafiaboss, den alle nur Scarface nannten. Das »Narbengesicht« hatte sich hier seine ersten »Meriten« in der Bandenszene erworben, hatte eine zweifelhafte Karriere begonnen, auf deren Höhepunkt er in Chicago zum mächtigsten Mann der Unterwelt aufgestiegen war. Erst vor wenigen Monaten, am vergangenen Valentinstag, hatte Scarface dort unter »Bugs« Morans Gang ein Massaker angerichtet und sich damit die Vorherrschaft unter den Familien gesichert.
Brooklyn hatte viele Gesichter. Hier gediehen Gangster ebenso wie Heilige – immer um die Mittagszeit konnte David vom Fenster aus die Bibelforscher beobachten, wie sie geschniegelt und gestriegelt ihrer Caféteria entgegenströmten. Gleich in der Nachbarschaft befand sich das Hauptbüro ihrer People’s Pulpit Association. Wenn diese bibelfesten Männer und Frauen unter den goldgelben Blättern der Bäume entlangwanderten, lachten und scherzten sie, als hätte Gott längst alle Scarfaces von der Erde verbannt.
Am 2. Oktober 1929 war es dann so weit: David und Rebekka nahmen Abschied von Brooklyn mit Ziel Paris. David hatte nicht schlecht gestaunt, als Henry ihm die Schiffsfahrkarten überreichte: Sie würden auf der Bremen reisen!
Nie zuvor hatte er einen solchen Ozeanriesen gesehen. Als er mit Rebekka an der Hand den Pier achtundachtzig auf Manhattan erreichte, stand er minutenlang einfach nur da und starrte auf den gewaltigen schwarzen Schiffskörper. Über der Wasserlinie zog sich ein feurig rotes Farbband rings um den Rumpf, als glühte das Schiff noch von der rasanten Herfahrt. Die schneeweißen Aufbauten des Schnelldampfers leuchteten in der Sonne.
»Macht dir das Schiff immer noch Angst?«, fragte David ergriffen.
Rebekka erinnerte sich an ihr Gespräch während der Seereise nach Hawaii. »Ich fand die Misogi gemütlicher«, antwortete sie ausweichend.
»Vielleicht änderst du deine Meinung, wenn wir erst an Bord sind. Komm!«
Über ein breites Fallreep gelangte das Paar in den »Bauch des Riesen«, wie Rebekka sich auszudrücken pflegte. Ein Steward wies ihnen ihre Erste-Klasse-Kabine zu. Das sechsundvierzigtausend Tonnen mächtige Superschiff war mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet. Wer die Restaurants, Läden, Schwimmbäder oder Fitnessräume besuchte, dachte kaum daran, dass er sich in einem, wenn auch gewaltigen Transportmittel befand. Die Bremen war ein schwimmender Hochgeschwindigkeitspalast.
Für die Strecke New York – Cherbourg benötigte der Schnelldampfer gut fünf Tage. Das Blaue Band hatte die Bremen bereits gewonnen, sie musste also nicht pausenlos unter Volldampf fahren. Als David und Rebekka am 7. Oktober gegen Mittag in der französischen Hafenstadt Cherbourg an Land gingen, fühlten sie sich auf eine Weise frei wie schon lange nicht mehr.
Wohlweislich verdrängte David die Erinnerung an eine andere Stippvisite in diesem Ort. Damals, vor mehr als dreizehn Jahren,
Weitere Kostenlose Bücher