Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
auch den Time-Artikel über Kardinal Gasparri, den er mit Dr. Guicciardinis Unterstützung verfasst hatte. Robert Leiber war sichtlich beeindruckt.
»Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, M. Cournot.«
»Danke, Herr Leiber, mehr wollte ich gar nicht.«
Dem viel versprechenden Gespräch mit Pacellis Sekretär folgte eine mehrtägige Geduldsprobe. Das warme, angenehme Frühlingswetter wich derweil einem launischen Wechselspiel von Sonne, Wind und Regen. Der April wurde seinem Ruf voll und ganz gerecht.
David nutzte die Wartezeit zur Verbesserung seiner Italienischkenntnisse und natürlich für die Spurensuche nach dem Kreis der Dämmerung. Er schrieb eine ganze Reihe von Briefen, unter anderem an Professor Leopardi, der sich immer mehr zu einem äußerst rührigen Mittler in Davids mailändischem »Agentennetz« entwickelte. Leider hatten sich im Hinblick auf den Geheimzirkel noch keine neuen Erkenntnisse ergeben. Außerdem sandte er nach langer Zeit wieder einmal über seinen Adoptivvater, den Herzog von Atholl, ein Lebenszeichen nach Tokyo.
Nach wie vor beschäftigte David auch das rätselhafte Vermächtnis Briton Haddens. Palatin, Palanna – ein Wort mit vielen Gesichtern. Unter den sieben Hügeln der Ewigen Stadt nahm der Palatin vielleicht die bedeutendste Stellung ein. Von der Via dei Giubbonari konnte man ihn bequem zu Fuß erreichen. Weil Rebekka die Spaziergänge durch die von dunkelroten Gebäuden gesäumten Straßen im historischen Stadtzentrum so liebte, unternahm das Paar häufiger Ausflüge zum Forum Romanum, zu den Thermen des Caracalla und zu anderen Plätzen im Umfeld des Palatin. David wusste selbst nicht so genau, was er eigentlich suchte. Vielleicht ein Mosaik oder ein Fresko, auf dem das Symbol des Geheimzirkels abgebildet war? Oder eine Inschrift, auf der in Latein stand: Zur Zerschlagung des Kreises der Dämmerung warte man die nächste Sonnenfinsternis ab, nehme einige fein zerriebene Mäusezähne…? Lächerlich! Ohne feste Anhaltspunkte würde er wohl selbst in zweihundert Jahren noch nicht weiter sein. Während sich diese entscheidende Spur ihm weiter versagte, wurde seine Entschlossenheit auszuharren eines Morgens durch ein schockierendes Erlebnis neu bestärkt.
David und Rebekka hatten die Via dei Giubbonari schon sehr früh verlassen, um einen weiteren Erkundungsgang durch die Ewige Stadt zu unternehmen. Kaum fünf Minuten unterwegs, hörten sie aus einer Querstraße ein lautes Zetern, Jammern und Schreien. Unwillkürlich blieben sie stehen.
»Was hat das zu bedeuten?«, raunte Rebekka, die Augen furchtvoll geweitet.
»Keine Ahnung«, antwortete David leise. »Klingt wie eine Frau, die ziemlich verzweifelt ist. Ich werde mal nachsehen.«
»Sei vorsichtig!«
»Ja, ja, schon gut.«
David drückte sich eng an die Hauswand und ging bis zur Straßenecke vor. Das hysterische Schreien der Frau vermischte sich nun mit dem Weinen von Kindern. Als er um die Ecke spähte, entdeckte er auf dem Kopfsteinpflaster eine nachtfarbene Limousine mit ausladenden Kotflügeln. Vor dem Wagen stand ein Mann mit finsterer Miene und grauschwarzem Anzug. Seine Aufmerksamkeit galt dem Hauseingang, aus dem in diesem Augenblick zwei weitere dunkelgraue Männer kamen. Sie führten einen dritten zwischen sich, dunkelhaarig, unrasiert, im Vergleich zu ihnen Mitleid erregend klein. Der Verhaftete war mit halb offener Hose und Unterhemd nur dürftig bekleidet.
Aus einem geöffneten Fenster im ersten Stock lehnte die – so war zu vermuten – Ehefrau des Abgeführten und überschüttete die grauen Männer mit italienischen Verwünschungen, von denen David keine einzige verstand. Ihr raues Stakkato wurde vom an- und abschwellenden Jammern kleiner Kinder begleitet. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er hatte bereits von derartigen Vorfällen gehört, aber noch nie einen solchen miterlebt.
Die O.V.R.A. Mussolinis faschistische Geheimpolizei, hatte eine Vorliebe für die frühen Morgenstunden. Ihre »Kundschaft« war, sofern nicht vorgewarnt, um diese Tageszeit fast immer zu Hause. Die grauen Männer hämmerten an die Tür, zerrten ihr Opfer in einen Wagen und waren im nächsten Moment schon wieder fort. Die Anwohner mochten den Vorfall gar nicht bemerken, wenn nicht, wie in diesem Fall, ein Angehöriger laut Alarm schlug. Der Nachbar war dann einfach verschwunden. Und tauchte oft nie wieder auf.
David bemerkte einige Schatten hinter den Fenstern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hier und da
Weitere Kostenlose Bücher