Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Aquädukte und Bäder, Kirchen und Paläste – und immer wieder San Pietro in Vaticano. Von beinahe jedem Punkt Roms aus war die Peterskirche zu sehen, schien über die Häuser zu wachen wie eine Glucke über ihre Küken.
Davids Interesse galt vor allem dieser gewaltigen Anlage westlich des Tibers. Seine Ankunft in Rom traf genau mit dem Amtsantritt des neuen Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli zusammen. Doch bis er schließlich überhaupt in die Nähe des hohen Würdenträgers gelangte, sollte noch einige Zeit vergehen.
Silvio Cecchetti brauste mit seiner »Schweinekutsche« schon am nächsten Morgen wieder Richtung Mailand ab. In dessen Vetter, Dr. Guicciardini, fand David bald jedoch einen neuen unermüdlichen Helfer. Nachdem er sich mit Rebekka zwei Tage lang vergeblich um eine Wohnung bemüht hatte, begann der Doktor das Paar sogar zum Bleiben zu drängen. Offenbar ging dem unverheirateten Theologen erst jetzt auf, wie viel anregender doch das Zusammenleben mit Menschen im Gegensatz zur eher eintönigen Gesellschaft eines Papageis sein konnte. Vielleicht hatte ihm anfangs aber auch eine übertriebene Vorsicht Zurückhaltung auferlegt, die er nun als unbegründet ansah. Davids ungewöhnliche Gabe, Menschen für sich zu gewinnen, beruhte auf einer Aura der Wahrhaftigkeit, einer Vertrauen erweckenden Ausstrahlung, der sich kaum jemand entziehen konnte.
Gleichwohl war das Verhältnis zu dem Theologen nicht mit jenem zu Professor Leopardi zu vergleichen. Guicciardini erwies sich als ein vielschichtiger Mann und David wagte nicht ihn tiefer in die Geheimnisse seiner Nachforschungen einzuweihen. Bei dem stämmigen Dottore schien die Eitelkeit der Wahrheitsliebe das Licht zu nehmen, weshalb Letztere ein wenig verkümmert war. Welche Motivation Guicciardini auch immer antrieb, er unterstützte David jedenfalls mit ganzer Kraft.
Noch im Februar verfassten sie gemeinsam einen Artikel für das Time-Magazin. Er war Pietro Gasparri gewidmet und zog ein vorläufiges Resümee einer fünfzigjährigen Laufbahn im Dienste der Kirche, die mit einer Professur am Institut Catholique in Paris begonnen hatte und mit dem Abschluss der Lateranverträge sicher noch nicht zu Ende war. Davids Interesse galt natürlich eher dem neuen als dem soeben verabschiedeten Kardinalstaatssekretär, der als Vorsitzender der Kardinalskommission zur Kodifikation des Ostkirchenrechts schon nicht mehr zum inneren Zirkel der Macht gehörte. Aber jeder Kontakt zur Kurie konnte für David nützlich sein. Pacelli schließlich sollte ihm als Sprungbrett dienen für sein eigentliches Ziel, den Papst. Als er daher für die dritte Februarwoche ein Interview mit Gasparri vereinbaren konnte, verbuchte er diesen Erfolg als einen wichtigen Etappensieg.
Das annähernd zweistündige Gespräch mit dem fast siebzigjährigen Kardinal brachte im Hinblick auf den Kreis der Dämmerung wenig neue Erkenntnisse. David fühlte sich nur einmal mehr in der Ansicht bestätigt, dass hinter der frommen Kulisse des Vatikans sehr weltliche Ziele verfolgt wurden. Gasparri sprach auffällig oft von den Interessen der Kirche und merkwürdig selten von denen seines himmlischen Herrn. Während Katholiken weltweit im Vaterunser das Kommen des Reiches Gottes beschworen, schien die Politik der Kurie eher auf den Erhalt und die Vergrößerung ihrer irdischen Macht ausgelegt zu sein. Ob beabsichtigt oder nicht – spielte der »Heilige Stuhl« damit Lord Belial nicht genau in die Hände?
Wenigstens einen handfesten Erfolg konnte David nach dem Interview verbuchen: Er hatte Dr. Giancarlo Guicciardini nun mit Haut und Haaren für sich gewonnen. Im März kam nämlich mit der Post aus New York die neueste Time-Ausgabe in die Via dei Giubbonari geflattert. Der Doktor war ganz aufgeregt, zumal sich das Titelblatt völlig über den Gasparri-Artikel ausschwieg. Dafür wurde da ein Bericht über Mahatma Gandhis »Salzmarsch« zum Arabischen Meer angekündigt. Bei Jalalpur gedachte der Freiheitskämpfer Salzkristalle aufzulesen, was die Briten zweifellos als offene Auflehnung gegen ihr Salzmonopol deuten würden. Dieser gewaltlose »Feldzug der Gehorsamsverweigerung« rangierte auf der Werteskala des Theologen eher unter »ferner liefen«.
»Ein halb nackter Heide scheint die Amerikaner mehr zu interessieren als die rechte Hand des Stellvertreters Gottes«, wetterte er und wühlte sich mit fahrigen Händen durch die Seiten des Magazins, bis er ihn endlich fand: seinen Artikel (der Text stammte
Weitere Kostenlose Bücher