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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gefürchteter Richter mit dem Spezialgebiet »Todesurteile« (wofür er sonderbarerweise bis in den Vatikan hinein geachtet wurde). Wenn ein Ehemann seinen Nebenbuhler in flagranti ertappte und ihn stehenden Fußes mit einer Schrotflinte durchsiebte, dann konnte er nach zwei Jahren schon wieder auf freiem Fuß sein. Sollte aber jemand wegen seiner gar zu kritischen Haltung gegenüber den Faschisten vor Casanovas Tribunale speciale fascista geladen werden, dann war sein Leben keinen Pfifferling mehr wert.
    Dieser für nicht italienische Ohren beinahe wohlklingende Name stand für die faschistischen Sondergerichte, vor die Mussolini jeden zu stellen versuchte, den er für gefährlich hielt. Obwohl die Zeitungen stets betonten, der Diktator habe eigentlich nur Freunde, wollte ihm einer davon 1926 in Bologna dennoch unbedingt den Garaus machen. Mussolini nahm diese widersinnige Tat zum Anlass, seine »Spezialtribunale« ins Leben zu rufen und durch sie etliche Gegner zum Tode zu verurteilen.
    Einen Time-Artikel ausgerechnet über den Kopf dieser Sondergerichte zu verfassen, gehörte per se zu jenen so genannten antifaschistischen Umtrieben, welche Mussolinis Geheimpolizei dienstbeflissen zu unterbinden suchte. Aber war die O.V.R.A. auch eine Gedankenpolizei, dass sie Davids Einstellung zu Männern wie Mussolini kannte? Natürlich war das eine absurde Idee. Dennoch hatte ihn jemand in Mailand beobachtet. Seit jenem Februartag war ihm aber niemand mehr aufgefallen, weder der schwarze Mönch noch irgendein anderer Spion. Aber konnte er wirklich sicher sein, die Verfolger abgeschüttelt zu haben?
    David war sich also durchaus der Gefahr bewusst, sich selbst eines Tages in der Aula IV, dem nüchternen Gerichtssaal im römischen Justizpalast, vor Richter Tringali Casanova verantworten zu müssen – wofür auch immer. Der Kreis der Dämmerung würde keine Mühe haben, ihn mithilfe falscher Zeugen anzuklagen, und wenn auch nur wegen des Artikels über Casanova.
    Tag für Tag schlich dahin und David verspürte einen immer stärkeren Drang Italien zu verlassen, egal wohin. Während die Wirtschaft der Welt noch immer krankte, raffte man in China das letzte Geld zusammen, um Krieg zu führen. Aus dem indischen Chittagong meldeten die Zeitungen schwere Ausschreitungen. Währenddessen stritten in London die Großmächte auf einer Konferenz über die zukünftige Stärke ihrer Flotten. Auch Japans Premierminister Hamaguchi nahm an dem Treffen teil. Sie rüsten zum Kampf, sie prügeln und beschießen sich, als hätte es den Großen Krieg nie gegeben. Die Menschlichkeit schien an allen Fronten dem Zynismus zu weichen. War der Jahrhundertplan überhaupt noch zu erschüttern, die Macht des Kreises der Dämmerung zu brechen? Wenn er wenigstens wüsste, welche Rolle der Vatikan in dem globalen Machtgerangel spielte!
    Am Abend von Mahatma Gandhis abermaliger Festnahme, dem 5. Mai 1930, kam endlich die für David erlösende Nachricht. Dr. Guicciardini flog mit wehenden Rockschößen und einem Briefumschlag in der Hand zur Haustür herein. David hatte gegenüber Robert Leiber die Vermittlerrolle des Gelehrten hervorgehoben, vordergründig, um diesen zu protegieren, hauptsächlich jedoch aus eigenem Sicherheitsbedürfnis.
    »Das Schreiben stammt aus dem Büro des Kardinalstaatssekretärs Pacelli. Wir haben einen Termin für übermorgen früh!«, jubilierte der schwitzende Doktor.
    »Wir?«, erwiderte David.
    »Ja, wollen Sie mich denn nicht zu dem Interview begleiten?«
    »Wenn ich mich recht erinnere, war es doch so, dass meine Frau und ich die Haushälterin des Kardinals gesucht, gefunden und zur Mitarbeit überredet haben.«
    Guicciardini war die Betroffenheit in persona. »Heißt das, Sie wollen mich im Stich lassen, Monsieur?«
    David schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Vor diesem Moment hatte er sich während der verstrichenen Tage und Wochen fast am meisten gefürchtet. Schonend brachte er dem Doktor bei, dass seine Übersetzerqualitäten bei dem Gespräch mit Pacelli nicht gefordert seien, da der Kardinal ja fließend Deutsch spreche. Aber er, Dr. Guicciardini, müsse sich keine Sorgen machen. Wenn er, Francois Cournot, den Bericht für Time verfasse, dann werde er ihn, den hilfreichen Doktor, ganz bestimmt namentlich erwähnen.
    Dieses tröstliche Versprechen half Giancarlo Guicciardini ungemein, die Hiobsbotschaft mit Fassung zu tragen.
    David hatte alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Die Koffer waren gepackt und

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