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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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am Hauptbahnhof in einem Schließfach deponiert. Rebekka würde in einem Café im Garten der Villa Borghese auf ihn warten. Wenn er sich bis fünf Uhr nachmittags nicht bei ihr einfand, sollte sie auf Umwegen nach Mailand zurückreisen und Professor Leopardi um Hilfe bitten.
    Sich Eugenio Pacelli, einen hohen kirchlichen Würdenträger, als Mitglied des Kreises der Dämmerung vorzustellen war selbst für David ein fast schon akrobatischer Gedankenakt. Gleichwohl konnte er diese Möglichkeit nicht ausschließen. Für den besagten Fall musste er deshalb mit dem Schlimmsten rechnen.
    Gegen halb zehn überquerte er eilig die weitläufige Piazza di San Pietro. Der stramme Marsch vom Monte Pincio zum Vatikan hatte ihn erhitzt. Die dunkelblauen Schöße seines offenen Rocks flatterten wie Wimpel in der auffrischenden Frühjahrsbrise. Eine Novizin deutete kichernd auf die karminrote Krawatte, die David wie eine zu lang geratene Zunge über der Schulter hing. All dem schenkte er kaum Beachtung. Die Zeit drängte.
    Mit langen Schritten durchmaß er das vertraute Terrain. Wenn der Papst hier zu Weihnachten seinen Segen urbi et orbi, also der Stadt und dem Erdkreis, erteilte, versammelten sich manchmal zehntausende auf dem Petersplatz. Jetzt waren es immerhin mehrere hundert, die neugierig zu seinem Palast hinüberblickten. Wollte sich das Kirchenoberhaupt an diesem Morgen seinen Gläubigen zeigen? David hatte nichts dergleichen gehört.
    Wenige Minuten später sprach er bei einem gestrengen Pförtner vor, dessen griesgrämiges zerknittertes Gesicht jeden Menschen, der nicht reinen Herzens war, unweigerlich in die Flucht schlagen musste. Der betagte Mann vermittelte den Eindruck, schon beim Bau der Peterskirche dabei gewesen zu sein. Geduldig beantwortete David alle Fragen. Erst der Name dessen, dem der Besuch galt, brachte Bewegung in das Faltenantlitz des Pförtners. Erstaunen machte sich darauf breit. Aber der Greis war unbestechlich und setzte seine Befragung fort.
    Nach dem langwierigen Einlasszeremoniell erschien das weitere Procedere weniger zeitaufwändig und unkompliziert. Schon nach kurzer Zeit wurde David von Robert Leiber abgeholt, an dessen Seite er dann durch das Gängelabyrinth hastete, in dem sich der Kardinal versteckt hielt.
    »Auf Sie muss dieser Palast eher verwirrend wirken«, erklärte Pacellis Sekretär frohgemut. Er bewegte sich zügig, aber dennoch würdevoll, ganz in Harmonie mit der Achtung gebietenden Umgebung.
    »Das ist ziemlich untertrieben«, antwortete David. »Ich glaube, in diesen Gängen könnte man einen Drachen steigen lassen, so hoch sind sie.«
    »Wenn es da nicht zwei grundlegende Hindernisse gäbe: Ad eins ist es hier zwar zugig, aber nicht windig genug, um solch ein Fluggerät in die Luft zu befördern. Ad zwei leben im Vatikan so gut wie keine Kinder.«
    »Das ist traurig.«
    »Sie würden hier ohnehin nur stören.«
    »Jesus hat die Kinder zu sich gerufen, als seine Jünger sie verjagen wollten.«
    »Unser Heiland musste sich auch nicht mit Fragen der Kirchenverwaltung und Bergen von Akten herumplagen.«
    Bald wichen die weiß getünchten Gänge anderen, von edlen Hölzern und opulenten Gemälden dominierten Fluren. Während David dem Sekretär nachjagte, blieben seine Augen an einem bald vier Meter hohen Bild hängen, das einen gepanzerten Ritter – vermutlich den heiligen Georg – beim Aufspießen eines Lindwurmes zeigte. Der Vatikan besaß Kunstschätze von kaum zu ermessendem Wert. Michelangelo, Raffael, Tizian, alles, was in der Malerei und Bildhauerei Rang und Namen hatte, war irgendwann einmal von den Päpsten verpflichtet worden. Vielleicht stammte dieser Drachentöter sogar von Carracci? Rebekka hätte es bestimmt gewusst. David musste zusehen, dass er den Anschluss an Leiber nicht verpasste.
    Nach einem beachtlichen Fußmarsch sagte der Geistliche unvermittelt: »So, da wären wir.«
    Sie befanden sich nun in einem vergleichsweise kurzen Gang mit nur vier Türen. Aber was für welchen! Leiber wandte sich einem Exemplar zu, aus dem man gut und gerne vier Normalausführungen hätte herausschneiden können. Der forsche Sekretär öffnete schwungvoll die Tür und nickte lächelnd einer älteren Ordensschwester zu, die gerade Papierstapel umschichtete.
    »Eminenz Pacelli erwartet Sie bereits«, flötete die Nonne.
    Nun änderte sich Leibers zuvor noch recht selbstbewusstes Verhalten. Behutsam, fast zaghaft klopfte er an eine weitere Tür, hinter der sich vermutlich sein

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