Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
wurden hölzerne Läden bewegt. Der Lärm hatte Zuschauer angelockt. Man wollte nicht entdeckt werden – und dennoch möglichst nichts versäumen. Aber keiner schritt ein. Niemand öffnete das Fenster, um wenigstens seinen Unmut kundzutun.
Ein bedrohlicher Sturm braute sich in Davids Eingeweiden zusammen, doch da verspürte er plötzlich eine Berührung. Er zuckte zusammen. Rebekka hatte ihre Arme um seine Taille geschlungen.
»Was ist?«, raunte er über die Schulter.
»Du gehst da nicht rüber!«
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich…«
»Erzähl mir nichts, David. Ich kenne dich.«
»Allein kann ich gegen die drei sowieso nichts ausrichten«, knurrte er voll ohnmächtiger Wut.
Die grauen Männer hatten den Familienvater inzwischen in ihr Fahrzeug verfrachtet. Türen klappten. Der Motor heulte auf. Der Wagen brauste los. Mit quietschenden Reifen umrundete er die Ecke, an der David und Rebekka standen. Niemand bemerkte das Paar. Nach etwa einhundert Metern veränderte sich mit einem Mal das Motorengeräusch. Es klang sonderbar tief. Dann ertönte ein metallisches Scheppern. Der Wagen hielt abrupt an. Aus der Motorhaube und dem Wageninneren quoll dichter Rauch hervor. Der Fahrer und seine Begleiter rissen die Türen auf und stolperten hustend auf die Straße.
In diesem Moment konnten David und Rebekka einen Blitz auf Beinen sehen, der aus dem Qualm hervor- und die Straße hinabschoss. Seine Bewacher reagierten ungewöhnlich langsam. Einer förderte sogar eine Pistole zutage und gab drei Schüsse auf den Fliehenden ab. Auch sie klangen merkwürdig tief. Alle Kugeln verfehlten ihr Ziel.
»Komm!«, sagte David und zog Rebekka mit sich. »Besser, wir verschwinden hier.«
Als das qualmende und zuletzt auch in Brand geratene Fahrzeug außer Sichtweite war, verlangsamte David endlich das Tempo.
»Bist du das gewesen?«, fragte Rebekka ernst.
»Was?«
»Tu nicht so, als könntest du kein Wässerchen trüben, David. Hast du das Automobil der Männer kaputtgemacht?«
»Ich habe mir nur vorgestellt, wie die Zylinder im Motor und noch ein paar andere Dinge aus dem Takt geraten könnten. Irgendwas muss dann wohl passiert sein.«
»Und als sie auf den Flüchtenden schossen…«
»… befiel die Projektile plötzlich Frühjahrsmüdigkeit«, vervollständigte David den Satz und grinste verstohlen.
Der Ernst wich aus Rebekkas Gesicht. Auch sie musste jetzt lächeln. Sie schlang David die Arme um den Hals und küsste ihn. »Du bist ein Schatz, dass du dich so für den Mann eingesetzt hast.«
David wurde wieder ernst. »Hoffentlich habe ich ihm und seiner Familie damit wirklich einen Dienst erwiesen. Die Geheimpolizei wird ihn jagen und jetzt möglicherweise seine Frau und die Kinder drangsalieren. Aber was hätte ich denn tun sollen, Bekka? Etwa tatenlos zusehen, so wie die Leute hinter den Fensterläden? Die Kinder brauchen doch ihren Vater. Was soll aus den Kleinen und ihrer Mutter werden, wenn sie ihn vor eines dieser berüchtigten Sondergerichte zerren und dann für Jahre einsperren? Oder ihn womöglich umbringen, wie es…«
»Es ist schon gut«, beruhigte Rebekka ihren erregten Mann. Sie küsste ihn abermals und sagte sanft: »Du hast getan, was du tun konntest.«
David schüttelte verzweifelt, ja zornig den Kopf. »Und trotzdem war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein, Bekka. Wenn jeder nur zuschaut und sich hinter seiner Angst verbarrikadiert, wird das Unrecht weiterwachsen wie ein tödliches Geschwür…«
»Pscht!« Rebekka hatte ihm den Finger auf den Mund gelegt, bis David sie fest in die Arme nahm und seine Wange auf ihr Haar bettete.
»Ach Schatz, ich kann einfach nicht so sein wie diese gesichtslosen Schatten in den Fenstern. Wir beide wissen, wem das alles nützt. Ich werde keine Ruhe finden, bevor nicht der Kreis der Dämmerung vernichtet ist.«
Die dramatischen Ereignisse jenes bewussten Morgens beschäftigten David noch lange. Und als die Antwort von Kardinal Pacellis Sekretär weiter auf sich warten ließ, begann er zur Ablenkung – aber auch aus einem tiefen inneren Bedürfnis heraus – mit der Arbeit an einem Artikel über Tringali Casanova. Dieser Mann, so dachte er sich, dürfte eher nach Henry Luces Geschmack sein als die farblosen Bürohengste in den vatikanischen Amtsstuben.
Entgegen anders lautenden Gerüchten war dieser Casanova weniger ein leidenschaftlicher Verführer schöner Frauen (was ihm gewiss den Zorn der Kurie eingetragen hätte) als vielmehr ein allseits
Weitere Kostenlose Bücher