Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Schwester Pascalina trage die Ordenstracht einer Nonne. Ihr Gesicht strahle Entschlossenheit aus, manche nannten es auch Verbissenheit. Angeblich habe sie lichtempfindliche Augen, weshalb sie bei Sonnenschein fast immer eine Brille mit stark getönten Gläsern trage. Die fromme Frau aufzuspüren sei damit jetzt nur mehr ein Kinderspiel, so Gott wolle.
Davids Begeisterung hielt sich in Grenzen. In Rom lebten vermutlich eine Million Nonnen, auf die Dr. Guicciardinis Beschreibung zutraf. Zu seinem Erstaunen und mit Rebekkas Hilfe gelang es ihm aber schon am nächsten Tag, Pascalina Lehnert auf einem Markt südlich des Vatikans zu entdecken. Wieder einmal war Davids besondere Überredungskunst gefragt, um die couragierte Haushälterin zur Mithilfe zu bewegen. Die Audienz bei Pacelli sei von enormer Wichtigkeit, nicht nur für die Kirche, sondern sogar die ganze Welt.
Die Nonne musterte zuerst nachdenklich Davids Gesicht, dann blickte sie zum Himmel, als erwarte sie von dort einen zweckdienlichen Hinweis, wie sie mit der ungewöhnlichen Bitte dieses jungen Mannes und seiner reizenden Gattin zu verfahren habe. Sie saßen zu dritt auf einer Bank am Rande einer kleinen Piazza bei der Villa Sciara. Wie Schafe, die vor der Mittagssonne Schutz suchten, hatten sich unter schirmförmige Pinien einige Marktstände geflüchtet. Die grünen Baumkronen hoben sich wie eingraviert von dem blauen Morgenhimmel ab. Es war noch sehr früh. Ein warmer Apriltag kündigte sich an.
Während Pascalina Lehnert mit versteinertem Gesicht über Davids Ansinnen nachdachte, ließ der beklommen den Blick über das Areal streifen. Die Erinnerung an den heimlichen Beobachter in Mailand saß noch immer wie ein dunkler Vogel am Rande seines Bewusstseins. Diese Bedrohung stand zwar nicht mehr im Vordergrund seiner Gedanken, war aber dennoch ein stets präsenter schwarzer Schatten. In den letzten Wochen hatte er sich in größeren Menschenansammlungen nie ungezwungen bewegen können und sie, wann immer möglich, gemieden. Nun war er selbst wieder auf der Jagd und hatte seine Deckung verlassen müssen. Das gefiel ihm nicht. Aber es war notwendig…
»Ich darf mich nicht in die Angelegenheiten des Kardinals einmischen.«
David zuckte zusammen. Blinzelnd sah er wieder in das ernste Gesicht der Nonne. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, wodurch dem Wahrheitsfinder der Blick auf den Grund ihrer Seele erschwert wurde.
Sein anhaltendes Schweigen ließ sie den Kopf schütteln und bedauernd hinzufügen: »Wenn ich Kardinal Pacelli empfehlen würde Sie zu empfangen, und er wäre nachher aus irgendeinem Grunde unzufrieden über das Gespräch, dann könnte mich das meine Stellung als Vertraute kosten.«
David, innerlich aufgeschreckt, lächelte gewinnend. Anscheinend hat die übertriebene Vorsicht Ihrer Exzellenz schon auf Sie abgefärbt, liebe Pascalina. »Sind es nicht gerade die Vertrauten, von denen man noch am ehesten unangenehme Wahrheiten annimmt?«
Die Ordensschwester schien über diesen Einwurf nachzudenken. Plötzlich erhellte sich ihre Miene. »Ich habe eine Idee. Wenn Sie Robert Leiber überzeugen können, dann wird er beim Kardinal Fürsprache für Sie einlegen.«
»Leiber?« Davids Augenbrauen zogen sich zusammen. Bei den vielen deutschen Namen, die der italienische Kardinal um sich versammelt hatte, kam er immer wieder durcheinander.
»Exzellenz Pacellis Sekretär. Er kommt manchmal zu mir und stiehlt meine Wurstbrote – wenn Gretchen ihm nicht zuvorkommt.«
»Sie haben noch eine Gehilfin?«, fragte Rebekka verwirrt.
Schwester Pascalina lachte mit tiefer Stimme. »Gretchen ist eine Perserkatze. Wir haben eine Menge Haustiere aus Berlin mitgebracht – Gretchen, Peter, Mieze –, Exzellenz sind den Deutschen wirklich sehr zugetan.«
»Den Eindruck habe ich allerdings auch«, sagte David kopfschüttelnd und murmelte: »Mieze… Peter… und Gretchen!«
Die Gretchenfrage war natürlich, ob Robert Leiber für Davids Werben empfänglich sein würde. Am Ende erwies sich jedoch auch diese Hürde als weniger hoch denn erwartet. Der deutsche Sekretär des Kardinals offenbarte sich als ein umgänglicher Mann, zumal er auf Davids Vorsprechen ausreichend vorbereitet worden war.
»Schwester Pascalina hat mir gedroht die Küche abzusperren und mich nicht mehr an ihre Brote zu lassen«, begründete der Geistliche seine Kooperationsbereitschaft lächelnd.
David legte seine ganze Überzeugungskraft in das nun folgende Gespräch. Er zeigte Leiber
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