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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schritt wagen. »Es heißt, Sie beherrschen sogar vier Sprachen.«
    »Der Herr hat mir einen ordentlich funktionierenden Geist geschenkt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.«
    »Sie untertreiben, Eminenz. Ich recherchiere immer sehr gründlich, bevor ich eine so wichtige Persönlichkeit wie Sie befrage. Man erzählte mir, Ihr Gedächtnis sei sogar außergewöhnlich! Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1923, als sie einen Tadel von der Kurie bekamen? Was war eigentlich der Grund dafür?«
    »Sie sind wirklich gut informiert«, antwortete der schmalgesichtige Kardinal mit einem Anflug von Unbehagen. »Im November des von Ihnen genannten Jahres war ich nervlich sehr angespannt. Seit mehr als vier Jahren hatte ich im Auftrag des Heiligen Stuhls mit der bayerischen Regierung um den Abschluss eines Konkordats gerungen, das die Rechte der Kirche im Lande neu regeln sollte. Als Hitler und Ludendorff Anfang November ihren Putschversuch unternahmen, steckte ich bis über beide Ohren in den abschließenden Arbeiten für das Vertragswerk. Die Putschisten sind auf ihrem Weg zur Feldherrenhalle nur wenige hundert Meter an der Nuntiatur vorbeimarschiert und ich habe es nicht einmal bemerkt. Als ich am nächsten Tag die Schlagzeilen der Zeitungen las, war ich ziemlich überrascht. Natürlich erstattete ich Rom unverzüglich Bericht – aber eben doch einen Tag zu spät. Das hat mir die von Ihnen angesprochene Rüge eingetragen.«
    David lächelte verständnisvoll. »Wenn Sie nicht möchten, dass ich über diese lässliche Sünde berichte, dann werde ich es auch nicht tun, Eminenz.«
    Der Kardinal machte ein etwas unglückliches Gesicht.
    Demonstrativ riss David das oberste Notizblatt vom Block, zerknüllte es und ließ es vor Pacelli über die polierte Tischplatte kullern. Erleichterung zeigte sich auf dem Antlitz des Geistlichen.
    Jetzt kann ich es wagen. »Eminenz«, begann David wie aus tiefer Nachdenklichkeit erwachend, »man hört, dass Hitlers Nationalsozialisten in Deutschland immer größeren Zulauf haben. Was halten Sie davon?«
    »Hitler ist ein geltungssüchtiger Dilettant. Ich hoffe, dem deutschen Volk wird das noch rechtzeitig bewusst werden.«
    »Inwiefern rechtzeitig?«
    »Bevor es diesen Mann zum Reichskanzler macht.«
    David atmete innerlich auf. »Und wenn er es doch würde?«
    »Worauf wollen Sie hinaus, M. Cournot?«
    »Wie würde die Kirche reagieren?«
    »In einer solchen Situation wären Vorsicht und ein kühler Kopf oberstes Gebot. Natürlich müsste sich der Heilige Stuhl mit den Nationalsozialisten auf die eine oder andere Weise arrangieren.«
    David stockte der Atem. »Sie wollen mit Hitler gemein same Sache machen?«
    »Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Kommen Sie nur nicht auf die Idee etwas Derartiges zu schreiben! Aber in Deutschland gibt es vierzig Millionen Katholiken. Der Heilige Stuhl muss die Glaubensrechte all dieser Menschen verteidigen. Der einzige Weg, dieses Ziel zu erreichen, besteht in der Anwendung einer vorsichtigen Diplomatie.«
    Unter den misstrauischen Blicken des Kardinals zog David einige Bogen Papier aus seiner Aktenmappe und ließ die Augen über das oberste Blatt wandern. Dann schenkte er Pacelli ein argloses Lächeln. »Das hier ist das Fünfundzwanzig-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 24. Februar 1920. Es gibt darin einige bemerkenswerte Absichtserklärungen, zu denen ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen würde. Zum Beispiel hier, im Punkt vier, heißt es: ›Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf die Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.‹ Wie denken Sie darüber, Eminenz? Könnten Sie sich damit – wie nannten Sie es doch gleich? – arrangieren?«
    Pacelli nahm einen Schluck Wasser aus seinem Glas. »Die Kirche sollte sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen. Außerdem sind wir nicht berechtigt, für die Angehörigen des jüdischen Glaubens zu sprechen.«
    David nickte. »Ich verstehe. Der Punkt sieben des NSDAP-Programms besagt übrigens, ich zitiere: ›Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremder Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen.‹ Im Sinne von Punkt vier bedeutet das doch wohl den Hinauswurf aller Juden aus Deutschland im Falle einer wirtschaftlich schwierigen Situation.« David beugte den Oberkörper vor

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