Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
wie vor freundlich, als er antwortete: »Was für ein außergewöhnlicher Segen! Ich danke Ihnen, M. Cournot. Bitte sehen Sie mir meine seltsamen Handschuhe nach. Ich leide unter einem Ekzem. Möglicherweise vertrage ich ja den vatikanischen Amtsstubenstaub nicht.«
David honorierte den zur Auflockerung gedachten Scherz mit einem höflichen Lächeln, aber seine Gedanken waren noch immer bei Pacellis wulstigem Ringfinger. Irgendwie muss ich ihn dazu bringen, den rechten Handschuh auszuziehen.
»Mein Sekretär hat mich ausführlich über den Zweck Ihres Besuchs informiert«, fuhr der Kardinal fort, als David nichts erwiderte. »Deshalb spreche ich auch deutsch mit Ihnen. Ich muss Ihnen für Ihren Artikel über Kardinal Gasparri in Time ein Lob aussprechen – der Text stammt doch in Wirklichkeit von Ihnen und nicht von Dr. Guicciardini, nicht wahr?«
»Ohne den Dottore wäre das Interview mit dem Kardinal vermutlich nie zustande gekommen.«
Pacelli lächelte verhalten. »Seine Eminenz hat mir von dem Gespräch berichtet. Sie müssen wissen, dass mich Gasparri 1904 – damals noch als Erzbischof – in seinen Mitarbeiterstab berief, dem ich dreizehn Jahre lang angehören durfte. Der Kardinal war sehr angetan von Ihrer außergewöhnlichen Art mit Menschen umzugehen, M. Cournot.«
»Vielen Dank, Eminenz. Sie sind zu freundlich.«
»Wollen Sie sich nicht setzen?« Pacelli deutete zu einem länglichen Tisch, der vor einem marmorgefassten Kamin stand. Auf der makellos blitzenden Holzplatte standen ein rundes Tablett mit einer Karaffe und mehreren Gläsern sowie ein goldenes Glöckchen, ein goldenes Tintenfass, ein goldener Federhalter und eine goldene Wippe mit Löschpapier. Die Formgebung der Schreibutensilien war auffällig schlicht.
Nachdem David sich gesetzt und eine Erfrischung ausgeschlagen hatte, begann er mit seiner Befragung. Ganz Journalist, kam er zunächst auf den Lebenslauf des Kardinals zu sprechen. In Pacellis Biographie schien es keine dunklen Riffe zu geben, die er zu umschiffen suchte. Er antwortete präzise und unbefangen.
Eugenio Pacelli wurde am 2. März 1876 in Rom geboren. Der scharfsinnige Umgang mit Worten war ihm gewissermaßen schon in die Wiege gelegt: Sein Vater Filippo hatte dem vatikanischen Anwaltskollegium lange als Dekan vorgestanden. Viele Politiker seien gelernte Juristen, merkte der Kardinal lächelnd an. Als er sich entschlossen habe, Priester zu werden, sei eine spätere diplomatische Laufbahn noch nicht absehbar gewesen. Nach mehreren Lehraufträgen für kanonisches Recht sei er im Jahre 1901 schließlich in das päpstliche Staatssekretariat berufen worden. Unter Gasparri habe er bis 1917 an der Neukodifizierung des kanonischen Rechtes mitwirken dürfen und sei im Anschluss daran nach Bayern geschickt worden. Als Nuntius habe er den Vatikan zunächst in München und seit 1920 auch in Berlin vertreten. Die insgesamt zwölf Jahre auf deutschem Boden hätten sein Leben sehr bereichert.
David folgte aufmerksam den Ausführungen des Kardinals, wobei er immer wieder auf die bedeutungsvoll gestikulierenden weißen Hände starren musste. Es hieß, auf dem diplomatischen Parkett habe sich Pacelli als listiger Taktiker einen Namen gemacht, als begnadeter Schauspieler, dessen faszinierende Pastor-angelicus-Bewegungen ihm zur zweiten Natur geworden seien – seine salbungsvollen Gesten vermittelten stets den Eindruck, er zelebriere gerade eine Messe. Aber was steckte hinter dieser Fassade? Und was unter diesem verflixten Handschuh?
Davids Taktik beschränkte sich im Moment aufs Hinhalten. Er ließ Pacelli reden. Gelegentlich stellte er Zwischenfragen und warf immer wieder eilige Notizen auf einen Block. Im Wesentlichen kannte er Pacellis Biographie bereits. Anders als Lucius Kelippoth verfügte der Kardinal über eine lückenlose Legende, die sowohl schriftlich als auch durch zahlreiche Zeugen belegt werden konnte. Während David nickte, lächelte und notierte, zerbrach er sich den Kopf darüber, wie er dem Gespräch eine neue Wendung geben konnte. Welche Rolle spielte der Kardinal im Räderwerk der Macht?
»Ihr Deutsch ist ausgezeichnet, Eminenz.«
Pacelli schien sich über das Kompliment ehrlich zu freuen. »Das war nicht immer so. Als ich 1917 als päpstlicher Gesandter in die Brienner Straße zog, war mein Akzent noch unüberhörbar. Ich habe damals öfter vom ›eiligen Stuhl‹ als vom Heiligen gesprochen.«
Die Atmosphäre hatte sich gelockert. David konnte den nächsten
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