Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Gesicht wie unter Schmerzen. »Nein, Liebster, natürlich nicht. Ich habe mir nur solche Sorgen um dich gemacht.«
David nahm sie in die Arme und atmete ihren betörenden Duft. Ich mir doch auch um dich. »Das brauchst du nicht. Es ist ja alles gut gegangen.«
Sie schob ihn ein Stück weit von sich, um noch einmal sein rechtes Hosenbein betrachten zu können. »Das Loch über deinem Knie dort sagt aber etwas anderes zu mir.«
David grinste schief. »Es lügt.«
Rebekka zog die Stirn kraus.
»Na ja«, korrigierte er sich, »sagen wir, es lässt die Fakten anders erscheinen, als sie tatsächlich sind.«
»Reporter!«, schnaubte sie und hakte sich bei ihm ein. »Dann kannst du mir auf dem Weg zum Bahnhof ja in aller Ruhe erzählen, wie es um deine so genannten ›Fakten‹ wirklich steht.«
Der Zug nach München verließ Rom gegen sechs Uhr abends. Das Gepäck der Cournots stapelte sich auf der Ablage über ihren Köpfen (ihre meisten Habseligkeiten befanden sich allerdings immer noch bei Professor Leopardi in Mailand). In der Kürze der Zeit hatte David keine Plätze im Schlafwagen mehr bekommen. Es würde wohl eine ziemlich anstrengende Reise werden.
Wenigstens waren sie allein im Abteil, im Augenblick jedenfalls, deshalb konnte David nun ausführlich darlegen, was er Rebekka zuvor nur in einer Zusammenfassung erzählt hatte: Pacelli war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keiner von Belials Logenbrüdern, konnte sich in seiner fast manischen Vorsicht aber schnell zu einem unfreiwilligen Helfer des Geheimbundes entwickeln. Dann gab es diesen geheimnisvollen Deutschen mit dem auffälligen Goldring, der David nicht aus dem Sinn gehen wollte – er hatte wohl den Ausschlag für das jetzige Reiseziel gegeben. Und schließlich der Jesuit, dieser Spürhund in Mönchskutte. Wie nur hatte er ihre Witterung von Mailand bis nach Rom verfolgen können? Es folgten die Flucht in die Peterskirche und die Begegnung mit Lorenzo Di Marco. Rebekka war entzückt, als sie von diesem neuen »Bruder« erfuhr. Die Einzelheiten der Rettung des kleinen Jungen musste sie ihrem Mann allerdings förmlich aus der Nase ziehen. Von der Privataudienz bei Pius XI. berichtete er dann wieder umso ausführlicher – sonderbar, wie ergriffen der Papst gewesen war, als David von seinen Befürchtungen berichtet hatte.
»Ob ein einzelner Mensch den Lauf der Welt verändern kann?«
Rebekka wiegte sich im Rhythmus des dahinrumpelnden Zuges. Sie ließ sich viel Zeit, ehe sie antwortete. »Du sprichst von dir selbst, nicht wahr? Was du heute dem Papst gesagt hast, mag vielleicht morgen sein Handeln zum Guten beeinflussen. Ja, Liebster, ich denke, dass jeder einzelne Mensch kostbar ist und viel bewirken kann. Meiner Ansicht nach ist der Gedanke falsch, man könne als Einzelner sowieso nichts ausrichten. Diese Haltung macht einen schnell zu einem Menschen, der sich hinter Fensterläden versteckt und zusieht, wie andere aus dem Leben gerissen werden.«
David sah nachdenklich in Rebekkas ernstes Gesicht. »Ich liebe dich, Bekka.«
Sie schmiegte sich an ihn. »Und ich liebe dich. Du darfst nie denken, wir hätten umsonst gelebt, hörst du? Was auch immer geschieht.«
Die Alpen überquerten sie im Dunkeln. An der österreichischen und später auch an der deutschen Grenze zeigte David seinen britischen Pass. Nicht etwa den, der ihn als Francis Jacob Murray, den Adoptivsohn des Herzogs von Atholl, auswies. David besaß noch ein anderes Dokument, auf dem er von der britischen Botschaft in Tokyo auch seine Ehefrau hatte eintragen lassen. Es handelte sich bei diesem Pass weder um eine Zweitschrift noch um eine Fälschung. Als Earl of Camden mochte der Kreis der Dämmerung ihn überall suchen, aber nur wenige kannten ihn unter seinem Geburtsnamen: David Pratt. Francois Cournot sollte Italien nie verlassen. Hoffentlich würden Lord Belials Spürhunde ihn noch möglichst lange im falschen Teil Europas suchen.
Als David und Rebekka am nächsten Tag auf dem Münchener Hauptbahnhof aus dem Zug stiegen, fühlten sie sich wie gerädert. Trotzdem mussten sie sich beeilen, um ihren Anschluss nicht zu verpassen. Mit der Reichsbahn ging es über Stuttgart nach Heidelberg. Erschöpft sanken sie dort in ein Taxi und ließen sich am Neckarufer entlang zum Studiosus chauffieren. Die Empfehlung stammte vom »Droschkenkutscher«, wie sich der schmalgesichtige Fahrer selbst nannte.
Der Studiosus war ein Gasthaus im Zentrum der traditionsreichen Stadt
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