Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
gescheiterter Machtmensch wie Papen für seine Mitmenschen noch darstellen könne. Geduldig beantwortete David alle Fragen des Deutschen und schilderte einige Details des Jahrhundertplans, ohne den Kreis der Dämmerung beim Namen zu nennen. Dafür war es noch zu früh, aber befriedigt nahm er die Offenheit Bauers zur Kenntnis.
Bauer ging zielstrebig an die Arbeit. Er führte Telefonate, schrieb Briefe, bat alle seine Kollegen in den anderen deutschen Bundesländern um Amtshilfe bei der Suche nach Papen. Zu seiner Verwunderung blieb jedoch das Echo aus. Niemand schien zu wissen, wo sich Hitlers ehemaliger Steigbügelhalter aufhielt. Das weckte seinen Argwohn und machte ihn nur noch entschlossener, Davids Anliegen zu unterstützen. Dem war das nur recht. Binnen einer Woche konnte er den Generalstaatsanwalt zu seiner Bruderschaft zählen.
»Ich habe mit beinahe zwei Dutzend Leuten gesprochen«, schilderte David Anfang April die Ergebnisse seiner eigenen Ermittlungen. Die regelmäßigen Treffen mit dem inzwischen zum Freund gewordenen Juristen fanden, wie auch an diesem Abend, meistens in dessen Braunschweiger Haus statt. »Alle Antworten klingen ähnlich: Anton Pfeiffer – ein bayerischer Minister, der mich 1946 darin unterstützt hat, Papen ein Spruchkammerverfahren anzuhängen – ist die jetzige Anschrift des Gesuchten nicht bekannt. Selbst der Verlag, in dem Papens Buch erschien, behauptet, nichts von seinem derzeitigen Aufenthaltsort zu wissen. Man könnte meinen, der Erdboden habe ihn verschluckt.«
»Mir ist es ähnlich ergangen«, resümierte Franz Bauer und griff nach dem gespritzten Apfelsaft, der vor ihm auf dem Tisch stand. »Ich komme mir langsam vor wie Emil Zatopek. Nur noch am Laufen bin ich, von einer Stelle zur anderen, aber niemand konnte – oder wollte – mir Auskunft geben. Ich fürchte, auf dem Amtsweg kommen wir nicht weiter.«
»Das klingt ja, als gebe es da noch eine andere Möglichkeit.«
»Es ist eher eine vage Hoffnung, David.«
»Egal, Fritz, heraus damit.«
Prompt verschluckte sich der Deutsche und stieß prustend das Gemisch aus Mineralwasser und Saft durch die Nase hervor. David war bereits aufgesprungen, um dem Ärmsten auf den Rücken zu klopfen. So wörtlich habe er seine Aufforderung nicht gemeint, entschuldigte er sich. Aber Fritz interessierte etwas ganz anderes, während er sich mit einem riesigen karierten Stofftaschentuch säuberte.
»Woher hast du gewusst, dass mir dieses Malheur passieren wird?«
»Gewusst? Ich? Was denn?«
»Du warst schon halb bei mir, ehe ich mich überhaupt verschluckt hatte.«
David grinste schief. »Auf viele Menschen wirke ich sehr überzeugend. Anscheinend bist du da keine Ausnahme. Ich habe gesagt: ›Heraus damit!‹, und schon ist es passiert.«
Der Generalstaatsanwalt bedachte David mit einem Blick, den er sich sonst für zwielichtige Gestalten vorbehielt. »Wie auch immer«, brummte er schließlich, zog einen kleinen Zettel aus der Seitentasche seiner Strickjacke und schob ihn über den Tisch. »Papens Botschaftertätigkeit in Wien hat mich an einen Mann erinnert, dessen Name und Adresse ich dir hier notiert habe. Er hat das KZ Mauthausen überlebt. Zwar kenne ich ihn nicht persönlich, aber er scheint für uns genau der Richtige zu sein.«
David las nachdenklich die handschriftliche Notiz. »Simon Wiesenthal. Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Würde mich nicht wundern, wenn du schon von ihm gelesen hast. Die Jagd nach untergetauchten Nazis ist für Wiesenthal nicht wie bei mir Nebenbeschäftigung, sondern Passion. Er leitet in Linz ein Zentrum zur Dokumentation der Schicksale von Juden und ihren Verfolgern.«
Ohne den Blick von dem Zettel zu nehmen, murmelte David: »Irgendwie ernüchternd, dass die Justiz ausgerechnet in diesem Land bei der Jagd nach Hitlers Helfern so wenig Elan zeigt.«
»Ernüchternd vielleicht, aber nicht erstaunlich. Was glaubst du, wie viele Juristen aus nationalsozialistischer Zeit der Staat bei uns noch immer beschäftigt! Solange Konrad Adenauer regiert, müssen kapitale Nazi-Hirsche den Abschuss durch deutsche Gerichte nicht fürchten.«
Seufzend steckte sich David die Adresse Simon Wiesenthals in die Brusttasche. »Also gut, ich habe dich verstanden, Fritz. Eigentlich bin ich mein ganzes Leben lang auf Nebenpfaden gewandelt. Ich werde mir diesen famosen Nazijäger einmal anschauen.«
Simon Wiesenthal war besessen von der Idee, die Peiniger seines Volkes ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Als
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