Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
gestampftem Lehm. An den kahlen Wänden stapelten sich einige Holzkisten, die der eingebrannten Beschriftung nach Eigentum der US-Armee waren. Die Luft roch zwar muffig, aber im Vergleich zu den Tunneln draußen geradezu angenehm.
David seufzte. Er hatte schon in schlimmeren Unterständen gehaust.
Entgegen der ursprünglichen Planung kehrte Kaeddong bereits am Nachmittag des kommenden Tages an die Oberwelt zurück, um »die Lage zu peilen«, wie er es ausdrückte. Inzwischen war der Kampflärm bis tief unter die Straßen zu hören. Der Koreaner hatte versprochen, in einer Stunde zurück zu sein. Es wurden fast zehn daraus.
Als David aus dem Tunnel das Patschen von Schritten vernahm, wappnete er sich schon im Geiste gegen einen bis an die Zähne bewaffneten Gegner, aber – zum Glück – schob sich nur der Schwarzhändler durch die Tür. Er war pitschnass.
»Was ist denn mit dir passiert?«
»Es regnet wieder.«
»So stark? Du siehst aus wie aus dem Wasser gezogen.«
Kaeddong grinste schief. »Na ja, ich bin in den Han gefallen.«
»Wie bitte?«
»Unsere Generäle müssen selten beschränkt sein. Sie haben die wichtigste Brücke über den Fluss gesprengt, obwohl noch tausende von unseren Soldaten am Nordufer liegen. Inzwischen dürften sie sich wohl in nordkoreanischer Kriegsgefangenschaft befinden.«
»Und du bist durch den Fluss geschwommen?«
Kaeddong nickte. »Nach Einbruch der Dunkelheit habe ich es gewagt.«
»Der Han ist breit. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
Wieder das Grinsen, diesmal schon selbstbewusster. »Fett schwimmt immer oben – noch nie gehört?«
»Ich finde das gar nicht lustig, Kaeddong. Von nun ab bleibst du an meiner Seite, wie wir es vereinbart haben, verstehst du mich?«
Der Schwarzhändler brummte etwas auf Koreanisch.
Davids Zorn, der sich ja nur aus seiner Sorge gespeist hatte, verrauchte schnell. Zwischen den beiden Männern entspann sich ein Gespräch über die Situation in der Stadt. Nein, einen erbitterten Häuserkampf gebe es nicht, antwortete Kaeddong auf Davids Frage. Mit ihren leichten Waffen seien die Verteidiger gegen den massiven Ansturm aus dem Norden machtlos. Er habe sogar einige russische T 34 gesehen. Die Panzer walzten alles platt, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Armee der Republik Korea fliehe nach Süden wie der Hase vor dem Fuchs.
»Dann ist die Woge also schon über uns«, sinnierte David. »Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Vereinten Nationen, allen voran die USA, dieses Husarenstück der Nordkoreaner und ihres sowjetischen Verbündeten tatenlos hinnehmen. Seoul ist wie ein Stein am Strand: Mal befindet er sich unter Wasser, mal an der Luft; gerade jetzt ist er überspült, aber es wird, davon bin ich überzeugt, schon bald eine Gegenoffensive geben und dann schwappt die Frontlinie wieder zurück. Wenn es uns gelingt, in der Zwischenzeit nach Yongamp’o zu kommen, An Chung-gun auszuhorchen und wieder dieses Versteck hier zu erreichen, können wir relativ sicher die Befreiungswelle abwarten.«
Kaeddong setzte sich wieder in Bewegung. »Klingt wie ein netter Tag am Meer. Da gibt es nur ein Problem, älterer Freund.«
»Denke ich mir. Der Fischer wird sich weigern, uns jetzt noch durch die Koreanische Bucht zu bringen.«
»Wahrscheinlich. Zumindest wird die veränderte Lage den Preis nach oben treiben.«
»Das soll unsere geringste Sorge sein. Wann, denkst du, können wir einigermaßen unbehelligt nach Inch’on aufbrechen?«
»Ich würde den ›Besuchern‹ noch zwei Tage geben, sich in der Stadt einzurichten. Am besten brechen wir in der Nacht zum Samstag auf. Der Hafen von Inch’on liegt gut dreißig Kilometer von hier. Bis zur Morgendämmerung können wir ihm schon ein gutes Stück näher sein.«
Mit Soo-wan an seiner Seite wäre David den Nordkoreanern vermutlich schon an der ersten Straßenkreuzung in die Hände gefallen. Der Schwarzhändler besaß hingegen einige Übung darin, sich neugierigen Blicken zu entziehen. Auf dem Schwarzmarkt wurde von der Polizei zwar nicht gleich scharf geschossen, aber die dort gewonnenen Erfahrungen ließen sich durchaus nutzbringend auf andere Gebiete anwenden.
Gegen drei Uhr morgens verließen sie den westlichsten Außenbezirk Seouls. Auf dem Rücken trug jeder einen Rucksack mit Proviant, einer Schlafdecke und einigem anderen Notwendigen. David schützte sich mit einer blauen Steppjacke gegen die nächtliche Kälte. Wenigstens von weitem sah er in dieser
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