Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
aber wegen mangelnder Erfolgsaussichten hatte er sich dann doch bei den Herausgebern der Wochenzeitschrift für den Inspirator seiner verworrenen Phantasien stark gemacht.
Die Verwirklichung eines anderen Vorhabens beschäftigte seine Gefühle beinahe ebenso stark. Da war in ihm ein sonderbarer Wunsch erwacht, den er noch vor wenigen Jahren als absolut unwichtig abgetan hätte: Er wollte seine Lebensgeschichte der Nachwelt erhalten. Nicht nach Ruhm und Ansehen stand ihm der Sinn. Vielmehr quälte ihn der Gedanke, dass womöglich bald ein Urenkel das Licht der Welt erblickte und über ihn nur ein paar vage Andeutungen vorfinden würde. Irgendwie musste er dieses Loch in der Familiengeschichte stopfen.
Zunächst jedoch standen ganz andere Probleme im Vordergrund, die selbst die Vermählung von Mia und Davy wie eine dunkle Wolke überschatteten. Einen Außenstehenden hätten die lachenden Gesichter, die Musik und der Tanz vielleicht getäuscht. Aber für David war dieser Schleier, der alle Fröhlichkeit des Festes zu dämpfen schien, unübersehbar.
Zu fortgeschrittener Stunde saß er mit Kim in den Korbmöbeln des Wintergartens. Sie tauschten gemeinsame Erinnerungen und sprachen über die Freuden und Sorgen des Ehelebens. Draußen wurde noch immer gefeiert. Plötzlich klingelte es.
David sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor elf. »Wer kann das sein? Alle Brüder im Umkreis, die von der Hochzeit wissen, sind doch schon hier.«
Kim zuckte die Achseln und grinste. »Vielleicht ein Nachbar, der sich über den Lärm beschweren will. Bleib ruhig sitzen, Väterchen. Ich gehe zum Monitor und werde mal sehen, wem wir diesen nächtlichen Überfall verdanken.« Sie erhob sich und verschwand im Haus.
David blickte ihr sorgenvoll nach. Er lebte in ständiger Furcht vor Entdeckung durch seine Gegner. Unverhoffter Besuch gehörte bei ihm nicht gerade zu den willkommenen Überraschungen. Kims baldige Rückkehr nahm er daher mit Erleichterung auf.
»Wer war’s denn?«
Die Mundwinkel seiner Wahltochter verzogen sich zu einem schelmischen Lächeln. Sie förderte hinter dem Rücken einen kartonierten Briefumschlag einer Kurierfirma hervor, wedelte damit in der Luft und intonierte: »Eine Überraschung. Ein fliegender Bote hat sie gebracht.«
»Deine gesanglichen Qualitäten haben mich noch nie überzeugt, Kim. Geh ruhig in den Garten und bring unseren beiden Turteltäubchen die Glückwünsche. Ist die Sendung von einem unserer Brüder in Übersee?«
»Kann ich nicht sagen. Der Absender ist ziemlich«, sie zögerte, »merkwürdig.«
Auf Davids Stirn erschienen tiefe Falten. Er beugte sich vor. »Wie meinst du das?«
»Der Adressant nennt sich ›Ein guter Freund‹. Das ist alles.«
»Zeig mal her.« David sprang aus dem Rattanmöbel auf wie ein Neunzehnjähriger, überwand mit drei schnellen Schritten die Distanz zu der verwunderten Kim und entriss ihr den Umschlag. Als Empfänger war nicht etwa das Brautpaar angegeben, sondern David Camden. Er riss die Verschlusslasche des Kuverts auf und entnahm ihm – eine Spielkarte.
»Hätte ich mir denken können«, brummte David düster und drehte Kim die Vorderseite der Karte zu. »Ein Pik-Ass.« Die Nachricht des anonymen Freundes war kurz und rätselhaft wie eh und je.
Suche den Racheengel im Tempel der fünf
Himmelsrichtungen,
ehe die Bombe dir die Zeit entreißt.
Und gib nicht Dolly die Schuld.
»Warum muss er sich nur immer so verquast ausdrücken, wenn er dir helfen will?«, beklagte sich Kim und schüttelte ihren schwarzen Schopf.
»Ich habe da so eine Ahnung…« Davids Stimme war wie das Flüstern des Windes.
»Nämlich?«
»Du würdest mich für altersschwachsinnig erklären, Liebes. Sag den anderen bis morgen früh nichts von der mysteriösen Nachricht. Ich möchte Mia und Davy nicht die Hochzeitsnacht vermiesen.«
»Die Botschaft ist rätselhafter als alle anderen, die uns dein Freund bisher geschickt hat«, beklagte sich Lorenzo. Die drei Greise – der einstige Mönch, der Maler und das neunundneunzigjährige Jahrhundertkind – hatten sich zusammen mit den zwei jungen Paaren – Mia und Davy sowie Kim und Dee-Dee – auf der Gartenterrasse zu einer Lagebesprechung eingefunden. Die beiden frisch vermählten klebten wie Kletten aneinander, wechselten hin und wieder verliebte Blicke, lieferten aber auch durchaus konstruktive Beiträge. So wie jetzt.
»Wenn man erst das Ende des Knäuels gefunden hat, räufelt sich der Rest meist ganz von
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