Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Davy gerade eine ähnliche Entdeckung macht.«
»Du meinst…?« Dee-Dees Mandelaugen wurden groß.
Kim nickte grinsend. »Wenn ein Abenteurer wie Davy sich den Bart stutzt, einen anständigen Haarschnitt zulegt und die Jeans wäscht, kann das nur eines bedeuten.«
»Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne?«
»Genau. Du hast damals auch den Verstand verloren, als ich dich betört habe.« Kim lachte wie ein kleines Mädchen.
David überließ das Paar sich selbst und ging zu Davy und Mia hinüber, die – zwar Händchen haltend, sonst aber erstaunlich diszipliniert – gemeinsam vor dem Bildschirm saßen und über Suchstrategien brüteten.
»Gibt es Neuigkeiten?«
Davy lächelte. »Der regelmäßige Kontrollbesuch, was? Ja, wir haben etwas Neues für dich.«
Um Mias Nase erschienen Schmunzelfältchen, ein Vermächtnis ihrer Großmutter.
»Doch nicht etwa das Missinglink! Habt ihr etwas über den Giftgasanschlag herausgefunden?«
»Nein, Großpapa«, antwortete Mia an Davys statt, »wir wollen bloß heiraten.«
»Ach so. Na, dann lasst euch nicht stören.« David verzog keine Miene, tat sogar so, als wolle er sich abwenden und gehen.
Die beiden sahen sich erst ungläubig an, dann fuhr Mia wie eine Furie aus dem Bürostuhl hoch. Gerade wollte sie zu einem geharnischten Vorwurf ansetzen – schließlich hatte er sie doch zu mehr Offenheit im zwischenmenschlichen Bereich angehalten, jetzt sollte er sich gefälligst auch freuen –, als sie das Zucken um seine Mundwinkel bemerkte.
»Du Schuft!«, jaulte sie auf und hämmerte auf Davids Brust ein. »Kann man denn nichts vor dir geheim halten? Wenigstens einmal könntest du dich überraschen lassen oder wenigstens so tun, als ob…«
David drückte seine Enkelin an sich und küsste ihr dunkles Haar. Sie roch anders als Rebekka. Der Duft würde Davy gefallen. »Ich bin ein Wahrheitsfinder«, sagte er wie zur Entschuldigung. »Aber ich freue mich trotzdem für euch.« Vorsichtig, wie einen Vogel, dessen gebrochener Flügel gerade erst verheilt ist, entließ er Mia wieder aus seinen Armen und ging geradewegs auf Davy zu. Ehe sich’s der junge Australier versah, war auch er umarmt. Aus dem Hintergrund ertönte Applaus. Kim und Dee-Dee waren ein dankbares Publikum.
»Lass dich drücken, Junge«, sagte David und jetzt brachen sich doch die bisher mühsam zurückgehaltenen Tränen ihre Bahn. »Ich muss sagen, Mia hat eine vortreffliche Wahl getroffen. Wann wollt ihr euch das Jawort geben?«
»So schnell wie möglich«, antwortete Davy. Auch er war sichtlich gerührt. »Wir möchten, dass du einer unserer Trauzeugen wirst.«
David nickte. »Na, dann müssen wir uns allerdings beeilen.«
Lebenskreise. Irgendwie wiederholte sich alles: Geburt, Tod, auch das Heiraten. Die Hochzeit von Mia und Davy fand am Freitag, den 23. Juli 1999 statt. Der Bräutigam trug einen Cutaway – ein gewöhnungsbedürftiger Anblick – und die Braut ein langes weißes, mit Spitzen besetztes Kleid. Sie sah darin wie ein Engel aus. Ansonsten war die Feier eher schlicht, ohne großes Brimborium.
Als Lorenzo dann im Park des Landhauses seine überaus würdevolle und mit Bibelzitaten reichlich unterfütterte Ansprache hielt, wischte sich David verstohlen einige Tränen aus den Augenwinkeln. Weniger Mias junges Glück, sondern eine schon ziemlich ferne Erinnerung hatte seine Augen überlaufen lassen. Die Hochzeit mit Rebekka war sogar noch schlichter ausgefallen, aber die einfache Trauungszeremonie in der schottischen Schmiede sollte für ihren Lebensbund trotzdem zu einem unverbrüchlichen Band werden, das selbst der Tod nicht zertrennen konnte.
Davids Lebenskreis war fast vollendet. Und damit der Zeitpunkt der Wiedervereinigung mit Rebekka gekommen. Orpheus war in die Unterwelt hinabgestiegen, um seine viel zu früh verstorbene Eurydike den Toten abzutrotzen. Wenn er selbst doch nur dazu in der Lage gewesen wäre! Sofort hätte er sich auf den Weg gemacht. Da er – hauptsächlich durch Lorenzos Überzeugungsarbeit – nicht viel von Seelenwanderung hielt, blieb ihm wohl nur der von der Natur vorgegebene Weg zu seiner Geliebten. Obwohl… Eine verrückte Vorstellung ging ihm schon seit einigen Tagen nicht mehr aus dem Sinn. Sie entsprang Worten, die bereits vor langer Zeit gesprochen worden waren. Nein, diese irrwitzige Alternative würde wohl ewig ein Gedankenspiel bleiben. Das Magazin Time suchte seit Monaten nach der Person des Jahrhunderts. Für David war dies eindeutig Rebekka,
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