Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
alleine auf.«
Mia erntete für ihre Bemerkung reihum verständnislose Blicke.
»Vermutlich kannst du den Faden schon erkennen«, schlussfolgerte Davy.
Sie schmiegte sich noch enger an ihn, küsste seine Nasenspitze und lächelte verschmitzt. »Ich bin eine Frau – darin habe ich Erfahrung. Schon mal was vom Klonschaf Dolly gehört?«
»Natürlich!«, sagte Dee-Dee. »Wie wir das nur übersehen konnten! Vor zwei Jahren haben die Briten doch dieses Vieh vervielfältigt.«
»Zügle deine Zunge, Freund«, sagte Davy in gespieltem Ernst. »Du sprichst von den zweitliebenswertesten Geschöpfen der Welt.« Er küsste Mias Schläfe. »Du bist für mich natürlich die unangefochtene Nummer eins.«
Ruben verdrehte die Augen.
»Ich verstehe nur nicht, was ein geklontes Schaf mit dem Schattenlord zu tun haben könnte«, grübelte Kim.
»Nichts«, sagte David. »Der gute Freund rät uns ja, Dolly nicht die Schuld zu geben. Vermutlich will er uns nur auf die Gentechnik im Allgemeinen aufmerksam machen. Davy, hast du auf Lucius Solas Festplatten irgendetwas zum Thema Genmanipulation gefunden?«
»Die Phosphoros-Server sind randvoll mit Informationen – das müsste ich erst nachprüfen.«
»Bitte tu es. Reicht es, wenn Dee-Dee dir dabei hilft?«
»Sicher. Jetzt müssen wir ja nicht mehr im Nebel herumstochern.«
»Fein. Ich will so wenige Brüder wie möglich in Gefahr bringen. Sucht außerdem nach dem Begriff ›Racheengel‹. Unser Freund hat ihn bestimmt mit Bedacht in Anführungszeichen gesetzt.«
»Vielleicht ist es der Name eines Waffensystems.«
»Möglich. Versucht das herauszufinden.«
»Ich frage mich nur, was dieser ›Tempel der fünf Himmelsrichtungen‹ sein soll«, sinnierte Ruben. »Es gibt doch nur vier davon: Norden, Süden, Osten und Westen.«
»Und den Krieg«, fügte Lorenzo hinzu.
»Seit wann ist das eine Himmelsrichtung?«
»Es gibt viele Menschen, deren Kompassnadel ausschließlich in diese Richtung zeigt, Ruben. Du musst dich nur einmal mit einigen ranghohen Militärs im Pentagon unterhalten.«
»Das Pentagon!«, hauchte Davy und bedachte den Alten mit einem anerkennenden Blick. »Eigentlich hätte mir das einfallen müssen.«
Lorenzo schenkte ihm ein entwaffnendes Lächeln. »Gönne doch einem alten Mann auch mal eine Freude.«
»Also gut«, sagte David. »Lasst mich zusammenfassen: Irgendwo in dem fünfeckigen Mammutkomplex des US-Verteidigungsministeriums sind die Pläne zu einem Projekt oder einer Operation namens ›Racheengel‹ versteckt und wir müssen sie finden. Das Ganze hat vermutlich mit Gentechnik zu tun. Die etwaige Neuentwicklung könnte in einer Bombe zum Einsatz kommen, die uns ›die Zeit entreißt‹, die also fast fertig ist und jeden Augenblick hochgehen kann.«
Die Intuition hatte David schon oft weitergeholfen, wenn die Logik sich als flügellahm erwies. Ihm ging der Giftgasanschlag von Tokyo nicht aus dem Kopf. Der Vorfall beanspruchte in Kelippoths Datenbanken überproportional viel Speicherplatz, beinahe genauso viel wie die Concorde-Informationen. Nur die Nukleartechnik belegte unangefochten die Spitzenposition in seiner Wissenssammlung. Während Davy und Dee-Dee das interne Netz von Phosphoros auf Informationsschnipsel zur Gentechnik durchleuchteten, nutzte David seine Kontakte zur IAEO, der Internationalen Atomenergie-Behörde, sowie zu den entsprechenden nationalen Einrichtungen in Japan. Es war natürlich schwierig, die Verantwortlichen zu sensibilisieren, wenn man nur vage Andeutungen machen konnte. Schließlich wussten sie ja nicht, ob wie im Fall Tschernobyl ein Kernkraftwerk in die Luft fliegen sollte, der Diebstahl von Plutonium geplant war oder Belial und seine letzten beiden Jünger sich eine ganz andere Schandtat ausgedacht hatten.
Dementsprechend aufmerksam verfolgte Davids Mitarbeiterstab weiterhin die Nachrichten. Jede Meldung wurde gleichsam auf die Goldwaage gelegt, da selbst Nebensächlichkeiten von großer Bedeutung sein konnten. Als wenige Tage vor Mias Hochzeit das Flugzeug von John E Kennedy jr. samt Frau Carolyn Bessette und Schwägerin Lauren bei Martha’s Vineyard ins Meer stürzte und alle drei ums Leben kamen, regte sich in David natürlich wieder der alte Verdacht: John-Johns Vater hatte ihn einmal im Kampf gegen Belial unterstützt. War das jüngste Flugzeugunglück auf den Fluch des Schattenlords zurückzuführen? David sträubte sich gegen den Gedanken. Wenn auf den Kennedys tatsächlich ein Fluch lag, dann beutelte
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