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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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tot«
    Dina lächelte liebenswürdig. Mit ihren sechzig Jahren war sie immer noch eine erstaunlich attraktive Frau. Sie hatte kurzes schneeweißes Haar, dunkle Augen und eine zierliche Figur. »Irgendwie bin ich das wohl auch, aber dann ist alles ganz anders gekommen.«
    Mia und Davy wechselten einen verständnislosen Blick.
    »Das muss ziemlich verwirrend für euch klingen«, sagte Dina. Sie lachte und Klein David krähte auf ihrem Arm. »Ich verstehe es ja selbst bis heute nicht richtig. Als dein Vater und ich am 21. Dezember 1988 auf unserem Flug in die Staaten in London zwischenlandeten, wurden wir mit einem Mal von zwei Sicherheitsleuten des Flughafens in einen Nebenraum komplimentiert. Dort stellte sich uns ein weißhaariger Mann mit Brille vor, der eine panische Angst zu haben schien, uns zu berühren. Es war mein Vater.«
    »David?«, fragte Davy verwundert.
    »Anfangs fiel es mir auch schwer, dem sonderbaren alten Mann zu glauben. Na, jedenfalls sind Daniel und ich nicht nach New York weitergeflogen und niemand hat die Passagierliste korrigiert. So gehörten wir zu den zweihundertsiebzig Opfern des Lockerbie-Bombenanschlags.«
    »Aber warum hat er nicht alle Passagiere gerettet?«
    »Wenn du wüsstest, wie sehr es deinen Großvater belastet hat, dass seine Hände gebunden waren! Am meisten von allem hat er ein Zeitparadoxon gefürchtet. Ihr wisst schon, wenn ein Sohn in die Vergangenheit reist und seinen eigenen Großvater umbringt. Dann würde er ja nie geboren werden und könnte auch nicht aus der Zukunft kommen und seinen Ahnen töten. Ich glaube, mir wird schon wieder schwindelig.« Dina legte die Fingerspitzen an die Schläfe, schloss die Augen und holte tief Luft.
    »Dann hat er also wirklich zweimal existiert«, sprach Davy aus, was sein Verstand nicht akzeptieren wollte.
    »Ungefähr einundsechzig Jahre lang, das ist richtig. Von Mutter gab es übrigens auch so einen Zwilling. Albert Einstein hat einmal im Scherz von der ›prattschen Zeitverdoppelung‹ gesprochen. Durch Vater ist sie zur Realität geworden: Als die Concorde über dem Stillen Ozean in einem Atomblitz verglühte, verlangsamte er das ihn umgebende Licht. Er war sich bis zu seinem Tod nicht sicher, ob auf diese Weise wirklich erklärt werden kann, was mit ihm passiert ist. Oft hat er sein und Rebekkas zweites Leben einfach nur als ›kleines Dankeschön‹ Gottes bezeichnet. Aber einmal war er etwas gesprächiger. Kurz vor der Explosion im Flugzeug habe Belial fast dieselben Worte benutzt, die auf der letzten Spielkarte standen: ›Ehe die Bombe dir die Zeit entreißt.‹ Darauf sei ihm wieder der Werbeslogan von British Airways in den Sinn gekommen – ihr wisst schon, dass man in der Concorde am Zielort landet, bevor man abgeflogen ist. Auf alle Fälle war er mit einem Mal schneller als das Licht und konnte deshalb, ganz wie von Einstein vermutet, in die Vergangenheit reisen. Habt ihr übrigens gelesen, dass im Time- Magazin vom 26.12.1999 Albert Einstein ›zum Mann des Jahrhunderts‹ gekürt worden ist? Diesen kleinen Tribut an das Jahrhundertgenie hat sich Vater doch nicht nehmen lassen. Ich habe euch die Ausgabe aufgehoben. Sie ist drüben im Haus, wo…«
    »Aber«, unterbrach Davy seine aufgeregte Schwiegermutter kopfschüttelnd, »wie konnte er das überleben? Wenn ihm das Flugzeug buchstäblich unter dem Hintern weg verschwunden ist, muss er doch mit einem Wahnsinnstempo in den Pazifik gerauscht sein.«
    »Vater war ein Verzögerer. Schon vergessen? Einen Augenblick vor der Detonation hat er sich zu Boden fallen lassen und unter einem der Sitze eine Schwimmweste hervorgezogen. Er ist dann dank seiner Gabe heil gelandet und mit viel Glück auch aus dem Wasser gezogen worden. Nach seiner Rettung reiste er sofort nach Deutschland. Am Tage des Kriegsausbruches hat er Rebekka von einem Gestapolastwagen gerettet, während sein anderes Ich sich mit diesem Scarelli in der Hamburger Speicherstadt traf. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte ziemlich verwirrend. Man sollte annehmen, die im schleswig-holsteinischen Heide verstorbene Rebekka hätte es durch Vaters Rettungsaktion gar nicht geben dürfen, aber was einmal geschehen war, selbst wenn es noch in der Zukunft lag, ließ sich nur bedingt wieder rückgängig machen.«
    Davy blinzelte verwirrt. »Nur bedingt? Was soll das nun wieder heißen?«
    »Es bedeutet, dass es von nun an zwei Rebekkas gegeben hat. Bei dem Unfall des Gefangenentransporters war Mutter verletzt worden.

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