Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
House.
Innen waren die Wände mit Eichenpaneelen verkleidet. Über knarrende Dielen ging Davy langsam durch den viereckigen Vorraum und betrat das Wohnzimmer. Mit jedem Schritt geriet er mehr ins Grübeln. Alles hier, angefangen von den gemütlichen Polstermöbeln bis hin zu dem Krimskrams auf den Anrichten, erweckte den Eindruck, als sei es eben erst verlassen worden. Davy hatte damit gerechnet, weiße Laken auf den Möbeln vorzufinden und durch intensives Lüften muffigen Geruch aus den Zimmern vertreiben zu müssen, aber nichts da. In einer Vase auf dem Tisch steckte sogar ein Strauß frisch geschnittener Blumen!
Zwischen zwei der insgesamt vier kleinen Fenster stand ein Klavier. Langsam, fast wie ein Schlafwandler ging Davy darauf zu. Er wunderte sich über die makellose Sauberkeit des Instruments – kein Stäubchen war darauf zu sehen. Und dann bemerkte er die Bilder.
Wie in Trance ließ er den Tragesitz mit dem muffelnden Kind zu Boden sinken. Klein David quäkte ein wenig. Sein Vater bemerkte es überhaupt nicht. Er starrte nur die Fotografien an.
Das erste Bild zeigte zwei junge Frauen. Die eine stammte vom indischen Subkontinent, die andere aus Korea. Davy kannte beide. Es waren Abhitha und Phillihi, Davids Patenkinder. Was ihn erstaunte, war die Karneolperle um Phillihis Hals. Sie sah aus – nein, es war der Schmuckstein, den Rebekka mit ins Grab bekommen hatte.
Wie ist das möglich? Kaum konnte er noch den Kopf zu den nächsten Bildern wenden. Davy traute seinen Augen nicht. Von den Fotografien lächelten ihn David und Rebekka an. Es handelte sich um insgesamt fünf Bilder und jedes zeigte einen anderen Lebensabschnitt der beiden. Obwohl Rebekka immer schön geblieben war, konnte man doch das geduldige Werk der Zeit erkennen: Hier musste sie um die fünfzig sein, da sechzig, siebzig, achtzig, neunzig…
Klein David fing an zu weinen, zum Glück, denn andernfalls wäre sein Vater vermutlich in Ohnmacht gefallen. Geistesabwesend nahm Davy das Kind aus dem Sitz. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Wie kann das sein? Auch David – er trug auf allen Fotos übrigens eine Brille – hatte sich schließlich der Natur beugen müssen.
Langsam stiegen einige Erinnerungen in Davy hoch. Als Davids Biograf kannte er dessen Lebensgeschichte ja besser als jeder andere. Im Frühjahr 1949 hatte David Stony House verkaufen wollen. Aber dann war wie aus dem Nichts Ruben Rubinstein aufgetaucht und hatte ihm das Geld zum Weitermachen verschafft. Der Landsitz in Cornwall blieb in seinem Besitz. Waren diese Bilder hier ein Indiz zur Identifizierung des »guten Freundes«, dessen einzige Lebenszeichen aus vier beschrifteten Assen bestanden hatten?
»Das Herz ist ein Symbol der Liebe«, murmelte Davy und wiegte seinen Sohn im Arm. Der Kleine wurde wieder verträglicher, rein akustisch wohlgemerkt.
Und dann hatte es da noch dieses andere merkwürdige Ereignis gegeben, bereits Jahre vorher. Nach Rebekkas vermeintlichem Tod hatte David sich hierher, nach Stony House, zurückgezogen und war ganz in seinem Schmerz aufgegangen. Aber dann sah er ein Paar, das ihm und Rebekka aufs Haar glich. Er hielt es für eine Wahnvorstellung. Sie winkten ihm von draußen, von seiner Lieblingsklippe her zu…
»Bekka«, stieß Davy hervor. Aus irgendeinem Grund sorgte er sich plötzlich um sie. »Komm!«, sagte er zu seinem Sohn. »Die frischen Windeln müssen noch einen Moment warten.«
Mit langen Schritten lief Davy aus dem Haus. Er schloss nicht einmal die Tür. Die Spielkarten! Der gute Freund. Der Gedanke war einfach… irrwitzig. David hatte einmal von seiner Bewunderung für Albert Einstein gesprochen und von dessen kühnen Theorien. Aber das! Nein, es war einfach unmöglich. Davy weigerte sich zu glauben, dass der gute Freund mit den vier Assen im Ärmel David selbst gewesen war.
Mia ging mit weit ausholenden Schritten den Klippenpfad entlang. Sie genoss jeden Atemzug. Der Blick über die Keltische See war atemberaubend. In der Ferne entdeckte sie ein Fischerboot, von Möwen umwimmelt wie ein Honigtopf von einem Bienenschwarm.
Nachdem sie eine halbe Meile in südlicher Richtung gelaufen war, wurde sie langsamer. Dort lag er, der Felsen, den sie nur aus Großpapas Erzählungen kannte. Er war glatt und flach, bis auf zwei Mulden, die Abdrücke eines Paars, das dort seit Jahrtausenden zu verweilen pflegte – so schien es jedenfalls.
Und dann bemerkte sie die beiden Grabsteine.
Sie befanden sich drei oder vier Schritte hinter
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