Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
sagte Golizyn großmütig.
»Wer’s glaubt…«, antwortete David. Das Feuer glimmte nur noch.
»Na gut, ich will nicht kleinlich sein«, legte Golizyn nach. »Sie bekommen auch noch das Leben des Mädchens.«
David erstarrte. Unwillkürlich züngelten die Flammen im Kamin wieder höher. »Aber sie ist Ihre Tochter!«
»Sie können sie gerne geschenkt haben. Ich will sie nicht. Hätte ich einen Sohn bekommen… «
»Sie sind ja wahnsinnig!«, platzte es aus David heraus und sofort zielten die Gewehre wieder auf seinen Kopf.
Golizyns Grinsen wurde stärker. Er trat zwei Schritte auf David zu, blieb neben einem Kandelaber stehen und zischte: »So? Bin ich das? Wollen Sie mir damit sagen, unser Geschäft sei geplatzt?«
Auch David kam seinem Gegner bis an den Rand des Bannkreises entgegen und knurrte: »Es gibt nichts, das platzen könnte, außer…«
Gerade hatte David für sich den Entschluss gefasst, eine Kostprobe seiner Verzögerungsgabe zu geben, als ihn die Sekundenprophetie alarmierte. Golizyn riss den Arm hoch, ergriff den Kerzenhalter und drückte ihn wie einen Hebel nach unten.
Ein Mechanismus! Der Gedanke kam etwas spät. In seinem Rücken vernahm er zuerst ein lautes Krachen und dann Kims Schrei.
Unter dem runden Teppich hatte sich eine Falltür aufgetan. Kim stürzte in ein tiefes Loch. Sofort ließ David von den Pergamenten im Kamin ab und versuchte ihren Fall in ein sanftes Hinabgleiten zu verwandeln. Er selbst stand am Rand des ungefähr fünf Meter tiefen Schachtes und konnte sie, anders als Golizyn und die Leibwächter, die ganze Zeit im Auge behalten.
»Das Leben ist voller Überraschungen«, sinnierte Golizyn.
Schreckerfüllt sah David einen dicken Wasserstrahl dicht unterhalb des Fußbodens aus einem Loch in der Schachtwand schießen. Ehe er sich’s versah, war Kim völlig durchweicht. Der Pegel stieg schnell an. Bald würde der ganze Schacht voll gelaufen sein. David wollte herumfahren und den Kampf mit seinen Widersachern aufnehmen, aber da erschienen neue Bilder aus naher Zukunft in seinem Kopf.
Er fuhr herum, warf dem grinsenden Golizyn einen bitteren Blick zu und sprang in die Tiefe.
Kaum war er im Loch verschwunden, schnellte auch schon ein Metallgitter aus einer Seitenwand und riegelte den Schacht nach oben hin ab.
»Bist du verrückt geworden? Jetzt werden wir beide wie die Ratten ertrinken«, schimpfte Kim.
»Hast du etwa gedacht, ich lasse dich allein die gefluteten Tunnel unter der Salzfeste erforschen?«
Von oben meldete sich die leutselige Stimme Golizyns, der vornübergebeugt am Schachtrand stand. »Ich unterbreche die beiden Turteltäubchen ja nur höchst ungern, aber wie gesagt: Die Zeit brennt mir unter den Nägeln. Mein Hubschrauber startet bald. Sterben Sie wohl, Mr Camden. Oder möchten Sie lieber als Phil Claymore aus dem Leben scheiden?« Er lachte glucksend in sich hinein. »War nur ein Scherz. Entschuldigen Sie bitte.« Golizyns Gesicht verschwand.
Dann hörten David und Kim den Herren der Salzfeste sagen: »Ich muss noch ein paar Vorbereitungen treffen, Alexej. Wenn das Gitter überschwemmt ist, kannst du die Luke schließen und nach Beirut aufbrechen. Um den Ring kümmere ich mich später.«
Das laute Gurgeln des mächtigen Wasserstrahls erstickte alle weiteren Laute.
»Hab keine Angst«, übertönte David den Lärm.
Kim lachte hysterisch auf. »Wir werden ertrinken, David!«
»Das ist noch nicht gesagt.«
»Aber wir treiben nach oben, gegen das Gitter. Bald wird es uns unter Wasser drücken und dann… «
»Halt dich an mir fest und vertrau mir einfach.«
Kim legte ihren Arm um Davids Schulter. Gemeinsam traten sie Wasser. Durch den Salzgehalt der Brühe war es nicht schwer, an der Oberfläche zu bleiben. Aber unaufhörlich kam das Gitter näher.
Das hässliche Gesicht des Priesters erschien über dem Schacht. Er wirkte ungeduldig, als ginge ihm das Ganze nicht schnell genug.
»Wenn ich dich kneife, musst du tief Luft holen«, sagte David in Kims Ohr, unhörbar für den Beobachter über ihnen.
Bald hingen sie mit den Gesichtern unter dem Gitter und schnappten nach Luft. Archipenko grinste.
Jetzt!, gurgelte es durch Davids Geist. Er kniff Kim in die Taille. Beide holten noch einmal tief Luft. Dann stieß sich David kraftvoll von den Eisenstäben ab und tat etwas, das ihm eigentlich zuwider war. Ähnliches hatte er nur ein einziges Mal in seinem ganzen bisherigen Leben gewagt.
Er verlangsamte sein Herz.
Nicht nur der Blutstrom, der durch
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