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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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machte keine Anstalten, ihn einzusetzen.
    David hielt irritiert inne. Golizyn beachtete ihn überhaupt nicht mehr. Er war vollauf damit beschäftigt, kreidebleich zu werden und dem Ring nachzustarren. Mit einem Mal sank Golizyn vor dem Kamin schwerfällig auf die Knie und begann mit einer kleinen Ascheschaufel in den Flammen herumzustochern. Er musste verrückt geworden sein. David konnte den Ring vorne am Rand sogar sehen, aber sein Gegner suchte immer hektischer, wie ein Blinder, der allein auf seinen Tastsinn angewiesen war.
    Dann wurden Golizyns Bewegungen seltsam steif. Er stöhnte, begann zu röcheln. Mit bloßen Händen griff er in die Flammen, schien die Hitze gar nicht zu spüren. David riss ihn am Kragen zurück. Er brauchte diesen Mann. Golizyn kniete immer noch am Boden, die Hand geradezu flehentlich nach dem Feuer ausgestreckt, aber sein Oberkörper war nun weit zurückgebogen, sein Gesicht vom Wahnsinn verzerrt. Erst glaubten David und Kim, die Flammen trieben ein sonderbares Spiel mit den Gesichtszügen ihres Feindes. Aber es war kein Trugbild, sondern die Wirklichkeit.
    Golizyn wurde älter – und das in rasender Geschwindigkeit. Runzeln krochen wie ein von unsichtbaren Spinnen gewobenes Netz über das eben noch glatte Gesicht. Die Haut bekam braune Flecken und schimmerte wie Wachs. Die wenigen dunklen Strähnen im Haar verfärbten sich schlohweiß. Golizyns Hände wurden zu gichtknotigen Krallen. Er hechelte, als bekäme er keine Luft. Zuletzt begann sein ganzer Körper zu zittern. Und er schrie.
    David wirbelte herum und brüllte in Kims Richtung: »Schütze deine Augen!«
    Sie sah ihn noch den Unterarm vor die Augen reißen, und während sie seinem Beispiel folgte, löste sich ein grellweißer Blitz aus dem Siegelring und sprang, wie es schien, mitten durch Golizyns Brust. Der markerschütternde Todesschrei verstummte jäh. David und Kim hörten ein dumpfes Poltern. Als sie wieder die Augen öffneten, lag Belials Logenbruder wie von einer Kugel hingestreckt vor dem Kamin.
    David blickte in das erloschene Kaminfeuer. Da, wo zuvor der Siegelring gelegen hatte, befand sich nun ein kreisrunder weißer Fleck, nicht größer als eine Untertasse. Die Asche war wie weggeblasen.
    »David, sieh nur!« Kim drückte sich ängstlich an ihn.
    Die unheimliche Veränderung Golizyns war offenbar noch nicht abgeschlossen. Er alterte weiter. Die Haut spannte sich wie Pergament über den Schädel. Dann löste sie sich auf. Zuletzt zerfielen auch die Knochen. Was zurückblieb, war weißgrauer Staub.
    »Asche zu Asche und Staub zu Staub.« David musste etwas sagen, irgendwie das unbändige Gefühl des Schreckens bezwingen, das ihn zittern machen wollte. Also hatte Lorenzo doch Recht gehabt: Die Waffe gegen Belials Bruderschaft war das Feuer, das uralte Symbol völliger Vernichtung. Der Fürstenring musste von anderer Beschaffenheit als die elf Goldreife der Logenbrüder sein, David hatte sich bei der Feuerprobe des römischen Goldschmieds täuschen lassen. Nach Jahren der Irrungen und Wirrungen hatte ein Zufall das Geheimnis der Siegelringe aufgedeckt.
    »Was ist mit ihm passiert?«, drängte sich Kims bebende Stimme in Davids Bewusstsein.
    Er streichelte ihren Rücken. »Hab keine Angst. Die Natur hat endlich ihren Lauf genommen.«
    »Ich verstehe kein Wort.«
    »Dieser Mensch hat mindestens einhundertdreißig Jahre gelebt, vermutlich sogar länger.«
    »Hältst du das für den richtigen Zeitpunkt, um dich über mich lustig zu machen?«
    »Ich spreche die Wahrheit, Kim, so unglaublich das auch klingt. Dein Vater ist an einer Verschwörung beteiligt gewesen, die vor genau einhundert Jahren in einem englischen Landhaus ihren Anfang nahm. Er und zehn seiner Mitverschwörer haben ihre Lebensspannen wie die Kabel eines Taus gebündelt und sich damit fast tausend Jahre erkauft. Mit Golizyns Ring dürften die verbliebenen Kumpanen jetzt allerdings ein Elftel ihrer Lebenskraft verloren haben.«
    »Ich kann einfach nicht glauben, was du mir da sagst.«
    »Würde ich vermutlich auch nicht. Gib mir Zeit, Kim. Ich werde dir alles erzählen, was du wissen möchtest, aber im Moment haben wir Dringlicheres zu tun. Hatte dein Vater nach dem Tod deiner Mutter andere Frauen?«
    »Ständig.«
    »Das werden wir ausnützen. Besitzt er ein Telefon, das nicht vom KGB überwacht wird?«
    »Ich weiß es nicht genau. Sein Arbeitszimmer ist dort drüben.« Kim deutete zu einer Tür am Ende des Raumes. »Aber wenn alles stimmt, was ich über die

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