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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seinen Körper pulsierte, kam fast zum Stillstand, auch die anderen Lebensfunktionen wurden auf ein absolutes Minimum reduziert. Er versank vor Archipenkos Augen zusammen mit Kim in der dunklen Tiefe des Schachtes. Auch die junge Frau in seinen Armen fiel in diesen künstlichen Winterschlaf. Beide Körper verbrauchten so gut wie keinen Sauerstoff mehr. Starr und langsam schwebten sie auf den Boden des Schachtes hinab. Dann wurde es völlig dunkel um sie. Der Priester hatte die Falltür geschlossen.
    Das Problem bei dieser Art Selbstbetäubung lag in dem fast völligen Verlust des Zeitgefühls. Man schwebte in einer anderen Dimension. Die Gedanken trieben wie in zähflüssigem Harz unendlich langsam dahin. Nur wenn es ihm gelang, seinen ganzen Willen schon im Voraus auf das Wiedererwachen zu konzentrieren, gab es eine Chance zum Überleben. Und jetzt musste sich David auch noch um einen anderen Menschen kümmern.
    Sein normales Denkvermögen kehrte zurück, als er mit dem Kopf sacht gegen das Gitter stieß. Sofort verspürte er den unbändigen Drang, den Mund aufzureißen und seine Lungen zu füllen. Kim regte sich in seinem Arm.
    Ihm blieben nur wenige Sekunden. David stieß sich und Kim noch einmal kurz von den Eisenstäben ab, rief sich das Bild des Gitters in den Sinn, verstärkte allmählich den Druck der Verzögerung. Wie von unsichtbarer Hand wurde der Rost zur Schachtwand hin weggebogen. In der Dunkelheit tanzten bunte Sterne vor Davids Augen. Er zog Kim mit nach oben, inständig hoffend, dass es zwischen Wasseroberfläche und Falltür noch Luft gab. Hustend und spuckend tauchten sie auf. Wie Neugeborene rangen sie nach Atem. Sie japsten und prusteten.
    »Was war das?«, fragte Kim, als es ihr besser ging.
    »Später«, mahnte David. »Wir müssen hier rauskommen, bevor das Wasser zu weit gesunken ist. Ich habe das Gefühl, es läuft ziemlich schnell ab.«
    »Und was willst du tun?«, jammerte Kim. »Du kannst doch nicht… «
    Ein Knirschen wie von zwei Mühlsteinen ließ sie verstummen. Dann krachte es und die Falltür flog schräg nach oben aus der Verankerung.
    »Doch, ich kann«, sagte David lächelnd. »Und nun komm.« Es war ein wunderbares Gefühl, der Dunkelheit entronnen zu sein. Auch Kim wirkte erleichtert, zugleich aber auch verwirrt.
    David drückte sich am Rand des Schachts hoch und rollte sich auf den Boden des Salons. Dann half er dem Mädchen hinaus.
    »Hat dir die Zofe deiner Mutter auch verraten, wo Golizyns Privatgemächer sind?«, fragte er, kaum dass sie sich schwankend erhoben hatten.
    »Ja, im Stockwerk über uns. Was hast du vor?«
    »Ich hole mir jetzt seinen Ring.«
    Kim schaute David überrascht an. »Mein Erzeuger hat dich Camden genannt. Wer bist du wirklich, David?«
    »Ein Mann, der für solche Torturen allmählich zu alt wird. Wo sagtest du, geht’s lang?«
    Das Mädchen führte ihn durch den Salon in Richtung Vorhalle. Auf dem Tisch lagen noch ihre Habseligkeiten.
    David schnappte sich das Funkgerät und drückte sofort die Sendetaste.
    »Ali? Bist du da? Ende.«
    »Ich höre. Ende.«
    »Wir sind entdeckt worden, aber wieder frei. Sie haben allerdings das Walkie-Talkie gefunden und werden sich denken, dass Kim und ich nicht allein auf der Insel sind. Zieh dich zurück. Solltet ihr in Gefahr geraten, setzt euch ab. Vielleicht treiben wir hier ja ein anderes Transportmittel auf. Im Übrigen bleibt es bei dem vereinbarten Zeitplan. Ende.«
    »Anderes Transportmittel? Was hast du vor, du Spinner? Ende.«
    »Wenn ich überlebe, hörst du von mir. Gewöhn dir in der Zwischenzeit das Rauchen ab. Ende.«
    »Pass auf dich auf. Und auch auf das Mädchen. Ende.«
    »Sie heißt Kim. Ende.«
    »Ein feines Mädchen ist sie. Ende und aus.«
    »Ja, das ist sie wirklich. Ende und aus.«
    »Ihr habt über mich gesprochen?«, fragte Kim, die aus den deutschen Wörtern nur ihren eigenen Namen hatte heraushören können.
    »Ali wünscht dir alles Gute.«
    »Oh, das ist ja wirklich mal was Neues.« Sie lächelte. »Komm, ich zeig dir, wo der Salzmann schläft.«
    Das Entree des Palais lag verlassen da. Auch das übrige Haus wirkte wie ausgestorben. Vermutlich durchkämmte Golizyns Leibwache gerade die Insel nach den Komplizen der vermeintlich ersäuften Gäste. Durch bunt verglaste Fenster fiel mattes Morgenlicht herein.
    »Hier lang«, sagte Kim und deutete zu einem der beiden geschwungenen Treppenaufgänge.
    Als sie nach oben stiegen, drang von draußen ein immer lauter werdendes Knattern

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