Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
verbreiteten mattes Licht. Mehrere Türen zweigten von der hohen Halle ab. Zwei geschwungene breite Treppenaufgänge führten in die oberen Gefilde des Hauses. Leise Stimmen hallten durch den Raum.
David sah auf seine Uhr. Es war kurz nach halb fünf. »Hattest du nicht gesagt, dein Vater sei ein Langschläfer?«, hauchte er in Kims Ohr.
Sie verzog keine Miene. »Wir wollten ihn doch sowieso wach machen.«
Wie sich schnell herausstellte, gehörten die Stimmen zwei Männern, die sich hinter einer offen stehenden Tür angeregt unterhielten. David und Kim hielten leise darauf zu. Nachdem sie die Eingangshalle durchquert hatten, spähte David vorsichtig in das Zimmer, eine Art Empfangs- oder Warteraum mit drei Chintzbänken und einigen antiken Möbeln an den Wänden: nobel, altmodisch und ungemütlich. Dahinter befand sich offenbar ein Salon. David konnte nur zwei große weiße Schiebetüren erkennen, die knapp einen halben Meter weit aufstanden. Die Stimmen der beiden Männer waren nun deutlich zu verstehen – jedenfalls für Kim.
»Kannst du heraushören, wer die beiden sind?«, raunte David nach einer Weile in Kims Ohr.
Sie nickte. »Der eine ist mein Erzeuger und der andere sein Leibgeistlicher Alexej Archipenko. Sie sprechen über eine Reise Wladimirs in die Türkei. Schon in wenigen Stunden soll es losgehen. – Warte!«
Während Kim wieder durch den Türspalt lauschte, arbeiteten Davids Gedanken auf Hochtouren. Eine Reise? In die Türkei? Doch nicht etwa ins Tal der Schlafenden Zauberer?
Kim schob ihre Lippen wieder an Davids Ohr. »Archipenko, dieser Speichellecker, prahlt damit, wie er uns am Heiligen Berg die Handschrift des Hesychast vor der Nase weggeschnappt hat…«
»Was meinst du mit ›uns‹?«, unterbrach David sie erschrocken.
»Wörtlich hat er von dem ›Mädchen und ihrem Spießgesellen‹ gesprochen.«
»Dann wussten sie die ganze Zeit…« David versagte die Stimme. Eine schlimme Ahnung stieg in ihm auf.
Wenige Augenblicke später übersetzte Kim erneut. »Der Grenzposten in Georgien hat sich über dein Verhalten gewundert und seine vorgesetzte Stelle informiert. Sie wissen, dass wir kommen!«
Eine Falle!, hallte es durch Davids Geist. War es nun die Stimme seiner Sekundenprophetie oder nur die des gesunden Menschenverstandes. Jedenfalls hatte er sich von der Ungeheuerlichkeit des eben Gehörten einen Moment zu lange ablenken lassen, denn plötzlich ertönte hinter ihm eine raue Stimme.
David fuhr herum und blickte in die Mündungen zweier Kalaschnikows.
»Beweg dich nicht!«, sagte Kim.
In kürzester Zeit war die Salzfeste der reinste Truppenübungsplatz. Ein ganzes Bataillon von Bewaffneten schien in die Vorhalle zu stürmen. Die Männer machten erstaunte Gesichter, einige wirkten sogar verunsichert, aber sie zielten auf die Eindringlinge. Einige Mutige durchsuchten die Festgenommenen nach Waffen und nahmen ihnen das Funksprechgerät wie auch die Taschenlampen ab.
Hinter David näherten sich feste Schritte. Die Tür wurde aufgerissen und er sah zum ersten Mal seinen Doppelgänger.
Wladimir Michailowitsch Golizyn war etwa so groß wie David, hatte die gleiche hagere Statur, fast ebenso helle Haare und ein verblüffend ähnliches Gesicht. Eigentlich gab es nur zwei deutliche Unterscheidungsmerkmale: Eine tiefe Narbe wie von einem Einschuss prangte auf der rechten Wange des Ukrainers und seine Augen waren nicht blau. Jedenfalls nicht beide. Das linke leuchtete smaragdgrün im Licht der künstlichen Kerzenhalter.
Und da gab es noch etwas, was David sofort auffiel: der Ring am Finger seines Doppelgängers, golden, schwer, mit einem unverwechselbaren Muster auf der Siegelfläche.
Golizyn grinste überheblich und sagte in flüssigem, wenn auch von seinem russischen Akzent gefärbtem Englisch: »Sie sind schneller, als ich vermutet hatte, Mr Camden.«
Damit stand außer Frage, dass der Logenbruder Belials über die Hintergründe der Athos-Operation Bescheid wusste.
David wollte sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Er lächelte. »Leider ging es nicht schneller, Gospodin Golizyn. Aber ich kann ja noch einmal wiederkommen, wenn es jetzt gerade unpassend ist.«
Einige Gewehrmündungen hoben sich, was für den Bildungsgrad von Golizyns Leibwache sprach.
»Jetzt, wo Sie und meine Tochter schon einmal hier sind, möchte ich Sie nicht so schnell wieder gehen lassen«, kommentierte Golizyn die martialische Geste.
Hinter seiner linken Schulter erschien ein ausgesprochen
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