Der Kreuzfahrer
geschweige denn das Königreich. Er ist ein grässlicher kleiner Mann – keinen Funken Musik im Leib –, aber Richard hat ihn nun mal zum obersten Richter ernannt, und man sollte meinen, dass er sich allein dadurch ein wenig Respekt verschaffen könnte. Aber das scheint nicht der Fall zu sein, und seine Autorität wird nun ernsthaft untergraben von – kannst du es erraten? – Richards royalem, wenngleich nicht eben loyalen Bruder John. Unser daheimgebliebenes Prinzchen stolziert in reichlich anmaßendem königlichem Stil herum, mit seinem eigenen Justitiar, eigenem Hofstaat, einem Kanzler, königlichen Siegeln und allem Drum und Dran. Und seine Diener sprechen unverhohlen von John als Thronerben, falls Richard auf diesem Kreuzzug umkommen sollte. Das ist lächerlich, wo doch jeder weiß, dass der kleine Prinz Arthur Richards erklärter Nachfolger ist. Es ist nicht gut, dass der König außer Landes ist, Alan, denn keiner hält diese ehrgeizigen kleinen Kröten in Schach …«, und er begann zu deklamieren:
»Wie ohne Sonne sich die Erde verfinstert,
so verliert ein Reich an Glanz,
weilt der König in der Ferne.«
Er nahm einen tiefen Schluck Wein und wischte sich den Mund an seinem prächtigen purpurnen Ärmel ab. »Und ich habe noch schlechtere Nachrichten«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Ich habe die Countess of Locksley besucht, um einen Brief abzuholen, den ich für sie an Robin überbringen sollte, und sie in furchtbarem Zustand angetroffen. Oh, um ihre Gesundheit steht es zum Besten, sie ist so schön wie eh und je und bewahrt Haltung, aber sie ist sehr unglücklich.«
Er machte eine Pause, und ich merkte, dass er seit unserem Zusammentreffen am Hafen darauf gebrannt hatte, mir diese schlechten Neuigkeiten zu überbringen.
»Nur weiter«, sagte ich ruhig.
»Nun, es sind grässliche Gerüchte über sie in Umlauf, die von dieser Schlange Ralph Murdac verbreitet werden – widerwärtige Gerüchte von der übelsten Sorte und natürlich völlig haltlos, aber sie bereiten ihr Kummer, und sie fürchtet, diese Behauptungen könnten auch Robin zu Ohren kommen.« Es gelang ihm nur mit Mühe, seine diebische Freude darüber zu verbergen, dass er so herrlichen Klatsch zu erzählen hatte.
Ich beugte mich vor und runzelte die Stirn. »Was für Gerüchte?«, fragte ich. Wut stieg in mir hoch. »Was für Gerüchte, Bernard?«, wiederholte ich lauter und in barschem Tonfall. Bernard sah mich an. »Nun werde nicht gleich wütend auf mich, Alan. Ich berichte dir nur von diesen Gerüchten,
ich
verbreite sie nicht. Ich habe keiner Menschenseele etwas gesagt. Aber die Leute reden.«
Ich zügelte meinen Zorn. Ich mochte Marie-Anne, Countess of Locksley, sehr. Eine ganze Weile hatte ich sogar geglaubt, ich sei in sie verliebt, und ich sah es gar nicht gern, wenn ihr Name durch den Schmutz gezogen wurde. »Was reden sie denn?«, fragte ich und bemühte mich um einen vernünftigeren Tonfall. Bernard war eben Bernard, und meine Wut würde ihn nicht ändern.
»Versprich mir, dass du dich nicht aufregen und niemandem sagen wirst, von wem du das gehört hast. Also, es heißt, sie sei …« Er zauderte. Aber ich sagte ausdruckslos: »Sprich es einfach aus, Bernard.« Und nach langem Winden und vielen Ausflüchten rückte er mit der Sprache heraus.
»Man erzählt sich, und ich bin sicher, dass rein gar nichts daran ist … Also, es heißt, die Gräfin sei im vorletzten Sommer in Wahrheit die Geliebte von Ralph Murdac gewesen, und ihr Sohn Hugh, der anerkannte Erbe des Earl of Locksley, sei Murdacs Fleisch und Blut.« Nach diesem Paukenschlag lehnte er sich zurück und beobachtete meine Reaktion.
Ich hoffe, dass ich ihn enttäuscht habe. Ich wahrte eine nichtssagende Miene, trank einen Schluck Wein und holte tief Luft. »Was für eine lächerliche Vorstellung«, sagte ich abschätzig. »Marie-Anne Locksley soll Ralph Murdacs Geliebte gewesen sein? Absurd.« Und ich versuchte mich an einem leichten Glucksen. Es klang wie der Schmerzensschrei eines Esels.
Weitere Widerlegungsversuche blieben mir erspart, da just in diesem Moment Ambroise und ein paar andere Trouvères eintraten. Ich hatte gerade noch Zeit, Bernard mit barschem Flüstern zum Schweigen zu ermahnen – woran er sich natürlich nicht halten würde –, ehe wir in den Strudel der weinseligen Heiterkeit hineingezogen wurden, die Ambroise und seine Freunde stets umgab. Während Bernard und der fröhliche normannische Fettkloß sich miteinander bekannt
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