Der Kreuzfahrer
»Hör auf damit. Geh jetzt nach Hause und sage Dickon, dass er morgen früh nüchtern und sauber vor mir erscheinen und sich reumütig zeigen soll. Dann werden wir beiden Männer die Angelegenheit regeln.«
Als die Frau gegangen war, ging ich zu der großen Truhe hinüber, in der ich meine kostbarsten Besitztümer aufbewahrte. Nach einigem Wühlen in den untersten Ecken fand ich, was ich suchte: ein gewöhnliches altes Schwert in einem abgenutzten Lederfutteral. Ich zog die Klinge aus der Scheide und blickte auf das graue Metall hinab, in dem sich mein müdes Gesicht spiegelte. Wie viele Männer hatte ich mit diesem Schwert getötet?, fragte ich mich – jedenfalls zu viele, um sie zu zählen. Und dennoch war es ein uraltes Symbol der Gerechtigkeit. In den Händen des Königs stand es für die Macht, im Namen des Gesetzes zu töten. Ich ließ es durch die Luft sausen, nur probehalber, und die Klinge glitt sauber durch die Rauchschwaden in der Halle. Mein rechter Arm war nicht mehr an das Gewicht des Schwertes gewöhnt, und mein einstmals gebrochenes Handgelenk ziepte schmerzhaft, aber es fühlte sich gut an in meiner Hand. Ich führte noch einen Streich, und noch einen. Meine Füße fanden wie von selbst in die vertrauten Schrittfolgen, die mein alter Freund Sir Richard at Lea mir eingehämmert hatte, während ich angriff, parierte und mit einem imaginären Gegner focht.
»Was um alles in der Welt tust du da?«, fragte eine scharfe Stimme. Es war Marie. »Räum das Ding weg, ehe du dich damit verletzt. Du bist nicht mehr zwanzig Jahre alt. Auch nicht zweimal zwanzig!«
Einen flüchtigen Moment, nur einen Herzschlag lang, flüsterte der Teufel mir den unbändigen Drang ein, meine Schwiegertochter für diese respektlosen Worte niederzustrecken. Einen Augenblick lang wollte ich mich wahrhaftig umdrehen, ihr den Kopf abschlagen und sie zuckend in ihrem eigenen Blut liegen lassen. Ganz deutlich sah ich mich über ihrer Leiche stehen, das blutige Schwert in der Hand, endlich wieder belebt vom Schlachtendrang, von der Kraft der Jugend. Doch dann kam ich Gott sei Dank zur Besinnung, schob das alte Schwert zurück in sein Futteral, räumte es weg und setzte mich wieder ans flackernde Feuer.
Marie kam herüber und legte mir ein dickes Wolltuch um die Schultern. »Es ist kalt heute Nacht«, sagte sie sanft. Aber ich ließ mich nicht zu einer Antwort herab, sondern nippte nur stumm an meinem warmen Bier. Es war Honig darin.
Ein breiter, leuchtend gelber Streifen schwebte vor meinen Augen. Ein Engel, der mir den Weg in den Himmel zeigte? Nein, kein Engel. Und zu schmerzhaft anzusehen. Es dauerte sehr lange, bis ich erkannte, dass es grelles Sonnenlicht auf einer weißgetünchten Mauer war. Ich schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte sich der gelbe Streifen bewegt und unten verbreitert. Allmählich wurden mir auch Geräusche bewusst: Füße in Sandalen auf Steinboden … gemurmelte Unterhaltungen … gelegentlich ein Schmerzensschrei oder das Plätschern von Flüssigkeit in einer Schüssel. Mein Mund war trocken wie ein sonnengebleichter Knochen, meine Zunge rauh wie Baumrinde. So schloss ich die Augen wieder und schlief ein.
Als ich dieses Mal aufwachte, beugte sich jemand über mich: Dunkles, glänzendes Haar umrahmte ein bleiches, abgehärmtes Gesicht mit großen, sorgenvollen Augen. Der Streifen Sonnenlicht an der Wand war jetzt ein goldenes Viereck, und ich dachte: Abend. Ein kalter, feuchter Lappen wurde auf meine Stirn gelegt – das fühlte sich himmlisch an – und ein wenig Wasser in meinen Mund getröpfelt. Ein einziges Wort kam mir in den Kopf, eine einzige, wunderschöne, geliebte Silbe: Nur.
Sie träufelte mehr Wasser zwischen meine trockenen Lippen. Ich schluckte schmerzhaft, blinzelte zu ihr hoch und versuchte, mich aufzusetzen, aber eine kleine weiße Hand drückte mich mit Leichtigkeit nieder.
»Wo bin ich?«, fragte eine rauhe, krächzende Stimme, die ich kaum als meine eigene erkannte.
»Psst, mein Liebling«, sagte Nur. »Trinken. Nicht sprechen. Du bist in Akka, im Quartier der Johanniter, in einem Schlafsaal. Du warst krank, sehr krank. Aber das Fieber ist gesunken. Du bist jetzt sicher. Ich bin hier.«
»Akkon?«, flüsterte ich, und Nur flößte mir noch etwas Wasser ein. »Nicht sprechen. Trinken«, sagte sie. »Trinken und schlafen.« Ihr liebliches Gesicht verschwand und erschien wieder über einer Tonschale, die mit einer bitteren Flüssigkeit gefüllt war. Sie führte
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