Der Kreuzfahrer
Pferd und ritt über die Rampe zurück. Sir Richard Malbête schenkte uns ein letztes spöttisches Grinsen, ehe er ihm auf den Burghof folgte.
Ich blickte zum Himmel auf. Es war mitten am Vormittag. Und wieder begann im Hof vielfaches Hämmern.
Im stets dämmrigen Erdgeschoss des Turms wurde hitzig gestritten. Ein halbes Dutzend Juden schrien sich aus voller Kehle an, keiner hörte dem anderen zu. Manche rangen verzweifelt die Hände, andere gestikulierten wild. Robin und ich saßen abseits des Tumults, teilten uns auf einer Bank in einer Ecke einen Laib Brot und fühlten uns sehr fremd in diesem Chaos. Schließlich gelang es Joshe, für ein wenig Ordnung zu sorgen, indem er brüllend Stille verlangte und mit einem Zinnkrug auf einen Tisch hämmerte.
»Brüder«, sagte er, als er sich endlich verständlich machen konnte. »Ich bitte euch, seid still und hört, was unser verehrter Rabbi Yomtob zu sagen hat.«
Der jüdische Geistliche, der still am Tisch gesessen hatte, stand mühsam auf. Er war ein alter Mann mit einem Vollbart, grauhaarig und ehrwürdig. Seine rot geränderten Augen wirkten sogar noch älter als sein gebeugter Rücken.
»Meine Freunde«, sagte er leise, und der Lärm im Turm verstummte augenblicklich, da alle seine Worte verstehen wollten. »Ich bin als Jude geboren. Ich habe mein ganzes Leben nach den Geboten Mose und den Gesetzen der Thora gelebt. Niemals werde ich den Glauben meiner Väter aufgeben. Dieses Gerede von der Taufe, von der Vergebung der Christen, ist eine Lüge. Wenn wir diesen Turm verlassen, heute oder morgen, werden wir sterben. Unsere Frauen werden sterben, unsere Kinder werden sterben. Möglich, dass nicht alle von uns vorher unaussprechliche Qualen erleiden würden, doch der Tod ist uns gewiss. Und ich würde lieber als der sterben, der ich immer war, nämlich als ein frommer Jude, denn einen würdelosen Tod durch diese blutrünstigen Wahnsinnigen erleiden. Gedenkt unserer Vorfahren und ihres Anführers Eleasar ben Ja’ir: Als sie in der Festung Masada von den Truppen des mächtigen Römischen Reiches belagert wurden, beschlossen sie, sich selbst das Leben zu nehmen und als freie Juden zu sterben, statt sich von ihren Unterdrückern versklaven oder auf entwürdigende Weise ermorden zu lassen. Ich habe vor, ihrem Beispiel zu folgen.« Ich bemerkte, dass Reuben auf der anderen Seite des Raums den Rabbi aufmerksam anstarrte, und sein dunkles Gesicht wirkte eigenartig blass. Im ganzen Turm herrschte jetzt Grabesstille.
»Wie wir alle wissen, ist heute der Pessach-Abend«, fuhr der alte Mann fort, »die heilige Nacht, in welcher der Todesengel jeden erstgeborenen Sohn in Ägypten holte, die Söhne Israels jedoch verschonte, weil der Allmächtige uns beschützte und uns aus der Knechtschaft in die Freiheit führte. Heute Abend, wenn wir unsere Matzen gegessen und ein Glas Wein getrunken haben, werde ich ein Messer in die Hand nehmen und das Leben meines eigenen erstgeborenen Sohnes Isaac hier beenden« – ein verängstigt aussehender junger Mann in der Menge wich unwillkürlich einen Schritt zurück – »und das Leben meiner geliebten Frau, das sie seit fünfzig Jahren mit mir teilt, sowie das meiner Tochter. Ich fordere euch alle auf, es mir gleichzutun. Dann werden wir losen, wer unter den überlebenden Männern wen töten wird. Heute Nacht werden wir alle Engel des Todes sein und unseren Familien die Freiheit schenken, und ich bete darum, dass unser Herr, Gott des Moses und des Isaac, uns vergeben wird.« Und damit setzte er sich.
Einige Augenblicke lang hielt die Stille an, und dann brach ein ungeheuerlicher Tumult los. Die Hälfe der Juden nahm Rabbi Yomtobs außergewöhnliche Rede mit lautem Jammern und Wehklagen auf, manche weinten, andere brüllten zornig, sie wollten kämpfen bis zum Letzten und die Christenhunde mit in den Tod reißen. Robin nahm mich beim Arm und sagte: »Ziehen wir uns aufs Dach zurück.«
Ich war fassungslos über Rabbi Yomtobs Rede, sie schien mir auf der steilen Treppe fast den Atem zu rauben. Seine Einstellung kam mir unbegreiflich und äußerst sündhaft vor. Ich hatte mich selbst schon in einer hoffnungslosen Lage befunden, bei Linden Lea – doch ich wäre nicht entfernt auf den Gedanken gekommen, mir selbst das Leben zu nehmen.
Auf dem Dach bezog ich meinen schon vertrauten Posten an der Brüstung mit Blick auf den Burghof und verlor nun beinahe allen Mut.
»Weißt du, was das ist?«, fragte Robin und deutete auf das riesige
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