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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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dass Robin noch sehr viel grausamer sein konnte, wenn er sich dazu entschloss.
    Aber Robin war noch nicht fertig. »Das gilt auch für die Offiziere. Ein Hauptmann, der stiehlt oder vergewaltigt, wird vor den Männern ausgepeitscht, als Warnung an euch alle, und dann degradiert.«
    Das war allerdings höchst ungewöhnlich. Geradezu schockierend. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass die Offiziere nach anderen Regeln diszipliniert wurden als die Männer, und dazu gehörte auch, dass sie zur Strafe niemals körperlich gezüchtigt wurden. Vielleicht hatte Robin das gesagt, weil wir ein höchst ungewöhnliches Kontingent in König Richards Streitkräften darstellten – fast alle von niederer Geburt. Wir wurden zwar von einem Grafen angeführt, waren aber Söldner – oder würden zumindest Sold erhalten, wenn Richard Robin das versprochene Geld bezahlte. Ich sah, wie Sir James de Brus Robin finster anfunkelte, die Finger am Heft seines Schwertes. Abgesehen von Robin, war er als Einziger unter uns von adeliger Abstammung, und ich konnte seine Gedanken beinahe hören:
Eher sterbe ich mit meinem Schwert in deinem Unterleib, als dass ich mich auspeitschen lasse wie ein ungehöriger Leibeigener.
Doch er sagte nichts. Immerhin war er ein guter und professioneller Soldat und wusste, wann er seine Zunge im Zaum halten musste.
    Vergewaltigungen waren kaum nötig: Während wir durch die Normandie marschierten, tauchten Frauen auf wie aus dem Nichts und schlossen sich unserem Tross an wie Bienen, die es zum Honigtopf zieht. Manche waren Huren, die gute Geschäfte witterten, andere waren halbwegs anständige Frauen, denen der Sinn nach einem Abenteuer stand und die glaubten, indem sie sich an einen feschen jungen Soldaten hängten, würden sie etwas von der Welt sehen. Und da sich keine von ihnen bei Robin beklagte, brauchte er seine Disziplin nicht durchzusetzen.
    Ein ganz besonderes Geschöpf erregte meine Aufmerksamkeit, jedoch nicht aus den Gründen, die man hinter dem Interesse eines jungen Mannes an einer Frau vermuten würde. Sie war eine sehr große Frau, etwa dreißig Jahre alt oder älter, und extrem dünn mit langen Händen und Füßen. Sie trug ein langes, schmutziges grünes Gewand, das sie von den Schultern bis zu den Knöcheln verhüllte, und sie schien weder Brüste noch sonst irgendwelche weiblichen Kurven zu haben. Doch ihr Haar war eine prachtvolle Explosion wirrer weißer Locken, die ihr steif vom Kopf abstanden. Sie ähnelte einer Pusteblume, und ihr Name war Elise.
    »Soll ich Euch die Zukunft vorhersagen, Herr?«, rief sie mir eines Abends im Lager zu, als ich gerade einen gerissenen Riemen an Ghosts Sattel ersetzte. Belustigt ließ ich sie in meine rechte Handfläche schauen.
    »Ich sehe große Liebe in Eurer Zukunft«, sagte Elise und spähte zu mir auf. Ich nickte geduldig: Das war eine beinahe obligatorische Vorhersage für einen jungen Mann. Sie fuhr fort: »Und großen Schmerz. Ihr werdet glauben, dass Ihr stark wäret in Eurer Liebe, dass sie eine Festung ist, die nicht zerstört werden kann, doch Ihr seid nicht so stark, wie Ihr glaubt. Und Ihr werdet Eure Liebe mit Euren eigenen Augen verraten. Die Liebe kommt durch die Augen herein – und auf demselben Wege geht sie wieder. An jenem Tag werdet Ihr Euch wünschen, blind zu sein, denn Euer Blick wird all die Liebe in Eurem Herzen töten.«
    Ich riss meine Hand zurück. Das war natürlich alles nur Unsinn, aber es klang verdächtig nach einem Fluch. Und um ehrlich zu sein, machen mich diese Frauen nervös, die behaupten, das Zweite Gesicht zu haben. Manche von ihnen besitzen tatsächlich Kräfte, die der Teufel ihnen verliehen hat, und deshalb sollte man sie nicht verärgern.
    »Meine Prophezeiung gefällt Euch nicht«, stellte sie fest und sah mich neugierig an. »Also schön, dann bekommt Ihr noch eine: Ihr werdet als alter Mann sterben, in Eurem eigenen Bett, vor Eurem eigenen Feuer.« Das war ebenfalls ein Standard-Sprüchlein, wie es Soldaten oft erzählt wurde, um deren Gunst zu erringen, nahm ich an und dachte mir nichts dabei. Ich lächelte nur, gab ihr einen Viertelpenny und schickte sie fort.
    Doch Elise blieb in unserem Tross. Sie sprach kaum je mit mir, und ich mied sie, so gut es ging. Mir fiel jedoch auf, dass sie zur Anführerin und Sprecherin der Frauen wurde, die sich unserem Kreuzfahrerzug angeschlossen hatten. Robin sah, dass sie unter den Frauen, die sich zuvor oft wüst gestritten hatten, für Frieden und Ruhe sorgte. Es war

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