Der Kreuzritter - Das Erbe - Guillou, J: Kreuzritter - Das Erbe - Arvet efter Arn
wenig allein zu sein. Der Abendstern stand einstweilen noch ganz allein klar und leuchtend am Himmelsgewölbe.
Noch vor kurzem war er Kaufmann in Lübecker Kleidern gewesen. Sein Haar war immer noch so kurz, dass es beim Familienthing vielleicht Heiterkeit hervorrufen würde. Aber jetzt wusste er, dass er nie Kaufmann werden würde.
Er betrachtete den Abendstern, faltete die Hände und betete zur Jungfrau Maria, der hohen Beschützerin seines Großvaters Arn. Er betete um eine Antwort auf die große Frage, welche Absicht sie mit seinem Leben verfolge. Eine Antwort erhielt er nicht und hatte vermutlich auch keine erwartet.
In dieser Nacht schlief Birger schlecht. Als der Morgen anbrach, konnte er nicht wieder einschlafen. Er dachte darüber nach, wie er beim Familienthing auftreten und was er sagen sollte. Er legte einfache Kleidung an und ging zunächst in den Stall, um sich mit Ibrahim über seine Sorgen zu unterhalten. Danach begab er sich an einen Ort, den er nur selten aufsuchte, die kleine Kapelle in Ulvåsa, die kaum größer als eine Gebetskammer war. In ihr stand ein kleiner Altar aus Stein mit einem einfachen Holzkreuz.
Er betete lange zur Mutter Gottes und bat um Vergebung für seine Schwäche im Glauben, dafür, dass er so lange keine Beichte mehr abgelegt hatte, und für das mangelnde Vertrauen, das er ihr entgegengebracht hatte. Dann bat er sie um ihre Hilfe, die richtigen Worte zu finden, wenn die Stunde der Prüfung kam. Sein Gebet verwandelte sich jedoch rasch in eine Art Streit, bei dem er die heilige Jungfrau mit Worten, als befände er sich bereits beim Familienthing, davon zu überzeugen versuchte, dass Frieden der größte Segen von allen sei, denn im Krieg gebe es nur Verlierer, also müsse sie gerade ihm beistehen, wenn es in Bjälbo zur Entscheidung komme.
Bald sah er ein, wie unsinnig es war, die Gottesmutter überzeugen zu wollen, statt um ihre Gnade zu bitten. Daraufhin versuchte er sein Anliegen demütiger vorzubringen.
Als der Hof vor der Kapelle zum Leben erwachte, erhob er sich mit steifen Knien. Er legte seine Kriegerbekleidung an, die Kleider also, die alle Folkunger von jeher beim Familienthing getragen hatten. Er wärmte Wasser und rasierte sich mit Savon und seinem frisch geschärften Dolch, da er vermutete, dass niemand in Bjälbo seinen dünnen, roten Bart für ein Indiz von Manneskraft, Tatkraft
oder übertriebene Weisheit halten würde. Nachdenklich wog er seine Goldsporen in der Hand, ehe er sie an seine Stiefel schnürte, die so lange in einer Truhe gelegen hatten, dass ihr trockenes Leder ein wenig knarrte. Er ging Ochsenfett holen.
Am liebsten wäre er allein und nur mit einem Bannerträger nach Bjälbo geritten. Die Landschaft war flach und die Landstraße bis nach Bjälbo zu überblicken. Es herrschte Frieden im Land und keine Gefahr drohte. Außerdem würden ihn auf Ibrahim, der mit den FolkungerFarben geschmückt war, keine Übeltäter einholen können.
Ingrid Ylva bestand jedoch darauf, dass ihn die zwölf Gefolgsleute Ulvåsas begleiten sollten, nicht um seine Sicherheit zu gewährleisten, sondern weil es sein Recht und ein deutlich sichtbares Zeichen war, wenn der neue Sprecher Ulvåsas beim Thing eintraf. Seine Mutter musterte ihn streng von Kopf bis Fuß, als er bereit war zum Aufsitzen. Sie schien mit dem Anblick zufrieden zu sein. Sie lächelte ihn zuversichtlich an, umarmte ihn und küsste ihn auf die Stirn.
»Du bist der Morgenstern, der gerade am Himmelsgewölbe aufgeht, bedenke das genau, mein Birger. Fürchte niemanden und nichts«, flüsterte sie ihm ins Ohr, so dass es keiner seiner Brüder, die mürrisch erschienen waren, um sich von ihm zu verabschieden, hören konnte. Die finsterste Miene machte Eskil, der sicher immer noch der Meinung war, dass er für Ulvåsa das Wort führen müsste, da er der rechtsgelehrteste der Brüder war und sich auch im kanonischen Recht am besten auskannte.
Voller Stolz machte sich Birger, den Bannerträger vor sich und die Gefolgsleute in Zweierreihe hinter sich, auf den Weg. Das Wappen Ulvåsas hatte vier Felder mit zwei
schwarzen und roten Greifenköpfen, dem Wappen Ingrid Ylvas, und den zwei Folkungerlöwen mit dem Halbmond, dem Wappen Magnus Måneskölds. Links trug Birger sein poliertes Folkungerschild mit dem goldenen Löwen, aber ohne ein Wappen, das kenntlich gemacht hätte, dass er Birger Magnusson und kein anderer Folkunger war.
Der Ritt war kurz und das Wetter sonnig und klar. Birger traf früh in
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