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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Caboclos, Indianermischlinge, das Gift für ihre Pfeile tragen, sondern auch wenn er geht oder reitet und dabei immer den Eindruck erweckt, er werde jeden Moment zusammenbrechen – dieser Mann scheint von dem kleinen Oberst gefesselt, behext, fasziniert zu sein. Ständig beobachtet er ihn, verpaßt keine Gelegenheit, sich ihm zu nähern, und in den Gesprächen mit seinen Kollegen ist Moreira César das einzige Thema, das ihm etwas bedeutet, mehr noch, könnte man meinen, als Canudos und der Krieg. Und was mag den Oberst an dem jungen Journalisten interessiert haben? Etwa seine exzentrische Aufmachung, seine ausgefallene Gestalt, dieses Klappergerüst, diese disproportionierten Gliedmaßen, dieses Gewucher von Haupt- und Körperhaaren, diese langen Fingernägel, die jetzt schwarz gerändert sind, diese weichen Manieren, dieses Ganze, an dem nichts ist, was der Oberst als männlich und martialisch bezeichnen würde? Und doch: etwas an dieser Mißgestalt mit der antipathischen Stimme zieht den kleinen Offizier mit den fixen Ideen und den energischen Augenan, vielleicht gegen seinen Willen. Er ist der einzige, den er anspricht, wenn er mit den Korrespondenten debattiert, und am Abend nach der Essensausgabe unterhält er sich manchmal mit ihm allein. Unterwegs pflegt der Journalist des Jornal de Notícias wie auf Initiative seines Maultiers vorzureiten und sich dem Oberst anzuschließen. So war es auch diesmal, als die Kolonne von Cansanção aufbrach. Mit den Bewegungen eines Hampelmanns schaukelt der Kurzsichtige zwischen den Offizieren und Ordonnanzen, die um das weiße Pferd von Moreira César reiten, als dieser vor der Abzweigung nach Calumbí die Hand hebt: das Zeichen zum Halten.
    Die Soldaten der Eskorte jagen auseinander, übermitteln nach allen Seiten Befehle, und der Trompeter bläst das Signal, das sämtliche Kompanien des Regiments zum Stehen bringt. Moreira César, Olimpio de Castro, Cunha Matos und Tamarindo steigen ab, der Journalist rutscht von seinem Maultier herunter. Hinter ihnen gehen die anderen Korrespondenten und viele Soldaten sich an einem Brunnen Gesicht, Hände und Füße mit Wasser erfrischen. Der Major und Tamarindo studieren eine Landkarte, und Moreira César beobachtet den Horizont durch seinen Feldstecher. Die Sonne verschwindet hinter einem fernen, einsamen Berg, dem sie eine gespenstische Form verleiht: Monte Santo. Der Oberst ist bleich, als er den Feldstecher einsteckt. Er wirkt angespannt.
    »Was macht Ihnen Sorge, Exzellenz«, sagt Hauptmann Olímpio de Castro.
    »Die Zeit«, Moreira César spricht, als hätte er einen fremden Gegenstand im Mund. »Daß sie fliehen, ehe wir ankommen.«
    »Sie werden nicht fliehen«, erwidert der kurzsichtige Journalist. »Sie glauben, daß sie Gott auf ihrer Seite haben. Und die Leute in diesem Land sind kampflustig.«
    »Fliehendem Feind eine silberne Brücke, wie das Sprichwort sagt«, wirft Olimpio de Castro scherzhaft ein.
    »In diesem Fall nicht«, artikuliert der Oberst mühsam. »Wir müssen ihnen eine Lehre erteilen, die Schluß macht mit den monarchistischen Illusionen. Auch die Schmach rächen, die sie dem Heer angetan haben.«
    Er spricht mit mysteriösen, den Sprechrhythmus sprengendenPausen zwischen Silbe und Silbe. Wieder öffnet er den Mund, um etwas anzufügen, tut es aber nicht. Er ist leichenblaß, seine Pupillen sind entzündet. Mit verlangsamten Bewegungen setzt er sich auf einen umgestürzten Baumstamm und nimmt das Käppi ab. Eben will sich auch der Journalist des Jornal de Notícias setzen, da sieht er Moreira César die Hände vors Gesicht schlagen. Das Käppi fällt zu Boden, der Oberst, rot im Gesicht, springt mit einem Satz auf und reißt, mit den Füßen um sich schlagend, die Knöpfe an seinem Hemd auf, als ob er erstickte. Schaum vor dem Mund, stöhnend, von Krämpfen geschüttelt, rollt er Hauptmann de Castro und dem Journalisten, die beide nicht begreifen, was los ist, vor die Füße, und als sie sich zu ihm hinunterbücken, kommen schon Tamarindo, Cunha Matos und mehrere Ordonnanzen angelaufen.
    »Rühren Sie ihn nicht an«, schreit der Oberst energisch. »Schnell, eine Decke. Rufen Sie Doktor Souza Ferreiro. Niemand darf hierher! Zurück, zurück!«
    Hauptmann Cunha Matos schiebt den Journalisten weg und geht mit den Ordonnanzen den übrigen Korrespondenten entgegen, sie rücksichtslos zurückdrängend. Inzwischen haben Olimpio de Castro und Tamarindo eine Decke über Moreira César gebreitet und rollen ihre

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