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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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fünfzig.
    »Willkommen in Belo Monte, der Erde des Vaters und des guten Jesus«, psalmodierte er. »Zwei Dinge verlangt der Ratgeber von denen, die seinen Ruf gehört haben und gekommen sind: Glaube und Wahrhaftigkeit. Kein Ungläubiger und kein Lügner soll sich niederlassen auf dieser Erde des Herrn.« Er sagte der Katholischen Wachmannschaft, sie zu ihm zu bringen. Früher hatte er mit jedem Pilger allein gesprochen; jetzt mußte er sie in Gruppen vornehmen. Der Ratgeber wollte nicht, daß ihm jemand half. »Du bist die Pforte«, antwortete er, sooft der Beatinho ihn bat, sich mit einem anderen in diese Funktion teilen zu dürfen.
    Ein Blinder, seine Tochter mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern traten herein. Sie kamen aus Querará und hatten vier Wochen für die Reise gebraucht. Die Mutter des Ehemanns und die Zwillinge des Paars waren unterwegs gestorben. Wurden sie christlich beerdigt? Ja, in Särgen und mit Gebeten. Während der Alte mit den verklebten Wimpern über die Reise berichtete, beobachtete sie der Beatinho. Er sagte sich, daß sie eine einige Familie waren, in der die Älteren respektiert wurden, denn die vier hörten dem Blinden zu, ohne ihn zu unterbrechen, und nickten zu dem, was er sagte. Alle fünf Gesichter zeigten diese Mischung aus Müdigkeit, von Hunger und Leiden verursacht, und jenem Entzücken der Seele, das die Ankunft in Belo Monte in allen Pilgern bewirkte. Der Beatinho spürte den Flügelschlag des Engels und beschloß, daß sie willkommen waren. Er fragte sie noch, ob keiner von ihnen dem Antichrist gedient habe, und nachdem er ihnen den Eid abgenommen hatte, schickte er sie mit einem Mann der Katholischen Wachmannschaft zu Antônio Vilanova. In der Tür flüsterte die Frau dem Blinden etwas ins Ohr, und dieser fragte ängstlich, wann sie den guten Jesus Ratgeber sehen würden. Es lag so viel Verlangen in dieser Familie, während sie auf die Antwort wartete, daß der Beatinho dachte: Sie sind Auserwählte. Sie würden ihn am Abend sehen, im Tempel; sie würden ihn Rat erteilen und sagen hören, daß der Vater glücklich sei, sie in der Herde aufzunehmen. Betäubt von Glück gingen sie. Die Anwesenheit der Gnade in dieser dem Untergang geweihten Welt war eine Läuterung. Diese Leute – der Beatinho wußte es – hatten ihre drei Toten und ihre Nöte bereits vergessen und fanden das Leben wieder lebenswert. Nun würde Antônio Vilanova sie in seine Bücher eintragen, würde den Blinden in ein Gesundheitshaus schicken, die Frau den Sardelinhas als Hilfe zuteilen und den Mann und die Kinder zu Wasserträgern bestimmen.
    Während er einem anderen Ehepaar zuhörte – die Frau hielt ein Bündel in den Armen –, dachte der Beatinho an Antônio Vilanova. Er war ein Mann des Glaubens, ein Auserwählter. Er und sein Bruder waren gebildete Leute, sie hatten ein Geschäft, Vieh und Geld besessen; sie hätten ihr Leben lang Schätze anhäufen und Häuser, Grundstücke, Diener haben können. Doch sie hatten es vorgezogen, mit ihren Brüdern die Gottesknechtschaft zu teilen. War es nicht eine Gnade des Vaters, jemand wie Antônio Vilanova hier zu haben, der mit seinem Wissen so viele Probleme löste? Wie eben jetzt die Verteilung des Wassers, das aus dem Vaza Barris und den Reserven der Fazenda Velha geholt und kostenlos ausgegeben wurde. Zu Wasserträgern wurden neu angekommene Pilger ernannt: dadurch wurden sie bekannt, hatten das Gefühl, daß sie dem Ratgeber und dem guten Jesus nützlich waren, und die Leute gaben ihnen zu essen.
    Dem Kauderwelsch des Mannes entnahm der Beatinho, daß in dem Bündel ein am Abend zuvor gestorbenes Neugeborenes war. Er hob das Tuch und beobachtete: der kleine Leichnam war steif, pergamentfarben. Es sei eine Gnade des Himmels, erklärte er der Frau, daß ihre Tochter auf dem einzigen Stück Erde gestorben sei, das frei sei vom Bösen Geist. Sie hatten es noch nicht getauft, und er tat es, nannte das Kind Maria Eufrasia und betete zum Vater, er möge diese kleine Seele inseine Herrlichkeit aufnehmen. Er nahm dem Paar den Eid ab und schickte sie zu Antônio Vilanova, damit ihre Tochter beerdigt würde. Wegen des Holzmangels waren Beerdigungen für Belo Monte zum Problem geworden. Ein Schauder überlief ihn. Nichts fürchtete er so, wie in einer Grube beerdigt zu werden, ohne daß etwas ihn bedeckte.
    Während er mit neuen Pilgern sprach, kamen fromme Frauen des Heiligen Chors, um die Kapelle zu schmücken, und Alexandrinha Corrêa brachte ihm im Auftrag von

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