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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ihn interessieren weder Geld noch Ehren, vielleicht nicht einmal die Macht; ihn bewegen abstrakte Dinge: ein krankhafter Nationalismus, die Vergottung des technischen Fortschritts, der Glaube, nur das Heer könne in diesem Land die Ordnung herstellen und es vor dem Chaos der Korruption retten. Ein Idealist vom Schlag eines Robespierre ...«
    Er schwieg, während ein Diener die Teller abservierte. Er spielte mit der Serviette, abgelenkt von dem Gedanken, daß kommende Nacht alles, was um ihn war, Schutt und Asche sein würde. Einen Augenblick lang wünschte er, ein Wunder würde geschehen, das Heer seines Feindes Moreira César käme nach Calumbí und verhindere das Verbrechen.
    »Wie viele andere Idealisten auch, ist er unerbittlich, wenn er seine Träume realisieren will«, fügte er hinzu, ohne daß sein Gesicht seine Gefühle widerspiegelte. Seine Frau und Gall sahen ihn an. »Wissen Sie, was er in der Festung Anhato Mirim getan hat? Er hat hundertfünfundachtzig Menschen exekutieren lassen. Sie hatten sich ergeben, aber das kümmerte ihn nicht. Er wollte ein Exempel statuieren.«
    »Er hat ihnen die Kehlen durchschneiden lassen«, sagte die Baronin. Sie sprach englisch nicht lässig, wie der Baron, sondern langsam und ängstlich jede Silbe artikulierend. »Wissen Sie, wie ihn die Bauern nennen? Halsabschneider.« Der Baron lachte kurz auf; er starrte auf den Teller, der ihm vorgesetzt wurde, ohne ihn zu sehen.
    »Stellen Sie sich vor, was geschehen wird, wenn dieser Idealist die monarchistischen und anglophilen Aufständischen von Canudos in der Hand hat«, sagte er düster. »Er weiß, daß sieweder das eine noch das andere sind, aber weil es der Sache der Jakobiner nützt, daß sie es sind, spielt das keine Rolle. Wozu tut er das? Für das Wohl Brasiliens, natürlich. Und er ist fest überzeugt, daß es so ist.«
    Er schluckte mühsam und dachte an die Flammen, die Calumbí verzehren würden. Er sah sie alles verschlingen, hörte sie knistern.
    »Ich kenne diese armen Teufel von Canudos gut«, sagte er und spürte, daß seine Hände feucht waren. »Sie sind unwissend, abergläubisch, und ein Scharlatan kann ihnen einreden, daß der Weltuntergang bevorsteht. Aber es sind auch tapfere, leidgeprüfte Menschen mit einem sicheren Instinkt für Würde. Ist es nicht absurd, daß sie als Anglophile und Monarchisten hingeschlachtet werden sollen, sie, die Kaiser Pedro II. mit einem Apostel verwechseln und hoffen, daß König Dom Sebastiäo vom Grund des Meeres heraufkommt, um sie zu verteidigen?«
    Wieder hob er die Gabel und schluckte einen Bissen, der in seinem Mund nach Ruß schmeckte.
    »Moreira César sagte, man müsse sich vor den Intellektuellen hüten«, fügte er hinzu. »Aber noch mehr muß man sich vor den Idealisten in acht nehmen, Herr Gall.«
    Wie aus weiter Ferne drang die Stimme des Angesprochenen an sein Ohr.
    »Lassen Sie mich nach Canudos gehen.« Sein Gesicht glänzte, seine Augen blitzten, er schien bis ins Mark aufgewühlt zu sein.
    »Ich möchte sterben für das Beste in mir, für das, woran ich glaube, worum ich gekämpft habe. Ich will nicht enden wie ein Narr. Diese armen Teufel stellen das Würdigste dar, was die Erde hat: das Leiden, das sich auflehnt. Sie werden das verstehen, Baron, trotz der Abgründe, die uns trennen.« Die Baronin bedeutete dem Diener, die Teller abzutragen und zu gehen.
    »Ich nütze Ihnen zu gar nichts«-, fügte Gall hinzu. »Ich mag naiv sein, aber ich bin kein Hanswurst. Das ist eine Tatsache, keine Erpressung. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie mich den Behörden, dem Heer ausliefern. Ich werde kein Wort sagen. Wenn es sein muß, werde ich lügen, schwören werde ich, Sie hätten mich dafür bezahlt, Epaminondas Gonçalves einer Tatzu beschuldigen, die er nicht begangen hat. Auch wenn er nur eine Ratte ist und Sie ein Herr sind, ist mir ein Jakobiner noch lieber als ein Monarchist. Wir sind Feinde, Baron, vergessen Sie das nicht.«
    Die Baronin wollte aufstehen.
    »Du brauchst nicht fortzugehen«, hielt der Baron sie zurück. Er hörte Gall reden, konnte aber nur an das Feuer denken, das Calumbí vernichten würde. Wie sollte er es Estela sagen?
    »Lassen Sie mich nach Canudos gehen«, wiederholte Gall.
    »Wozu denn?« rief die Baronin aus. »Die Jagunços werden Sie umbringen, weil sie Sie für einen Feind halten werden. Sagten Sie nicht, Sie wären Atheist und Anarchist? Was hat das mit Canudos zu tun?«
    »Die Jagunços und ich stimmen in vielen Dingen überein,

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