Der Krieg am Ende der Welt
Soldaten warteten, hatten keine Angst«, sagt Jurema.
»Weil sie sicher waren, daß sie auferstehen«, kreischt der Zwerg. »Wenn ich so sicher wäre, hätte ich auch keine.«
»Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, obwohl ich nicht weiß, ob ich auferstehen werde«, behauptet Jurema, und der Spurenleser begreift, daß sie es zu ihm sagt, nicht zum Zwerg.
Als das Morgenlicht erst ein blaugrüner Schimmer ist, weckt ihn etwas. Ist es der Wind? Nein, es ist noch etwas. Jurema undder Zwerg schlagen gleichzeitig die Augen auf, der Zwerg beginnt sich zu rekeln, doch Rufino heißt ihn still sein. Hinter der Tür kauernd, späht er nach draußen. Eine Männergestalt, lang, ohne Gewehr, kommt über die einzige Straße von Caracatá und streckt den Kopf in die Häuser. Als er nahe genug ist, erkennt er ihn: Ulpino, der aus Calumbí. Er sieht ihn die Hände an den Mund legen, hört ihn rufen: »Rufino! Rufino!« Er zeigt sich, tritt in die Tür. Als ihn Ulpino erkennt, ruft er ihn, erleichtert. Rufino geht ihm entgegen, die Hand am Jagdmesser. Er begrüßt Ulpino mit keinem Wort. An seinem Äußeren erkennt er, daß er lange gegangen ist.
»Seit gestern abend suche ich dich«, ruft Ulpino in freundschaftlichem Ton. »Es hieß, du seiest nach Canudos gegangen. Aber dann traf ich die Jagunços, die die Soldaten umgebracht haben. Die ganze Nacht bin ich gelaufen.«
Mit geschlossenem Mund, sehr ernst, hört ihn Rufino an. Ulpino betrachtet ihn voll Sympathie, wie um ihn daran zu erinnern, daß sie Freunde waren.
»Ich habe ihn dir gebracht«, murmelt er langsam. »Der Baron hat mir befohlen, ihn nach Canudos zu bringen, aber mit Aristarco haben wir beschlossen: Wenn ich dich finde, soll er dir gehören.«
Erstaunen, Ungläubigkeit zeigen sich auf dem Gesicht Rufinos.
»Du hast ihn gebracht? Den Ausländer?«
»Der Kerl hat keine Ehre.« In übertriebenem Ekel spuckt Ulpino aus. »Es kümmert ihn nicht, ob du die Frau tötest, die er dir weggenommen hat. Er wollte nicht darüber sprechen. Sie wäre nicht seine Frau, hat er behauptet, der Lügner.«
»Wo ist er?« Rufino blinzelt und leckt sich die trocken gewordenen Lippen. Er glaubt ihm nicht, daß er ihn gebracht hat.
Doch Ulpino erklärt ihm mit vielen Einzelheiten, wo er ihn finden wird.
»Obwohl es mich nichts angeht, würde ich eins gern wissen«, sagt er dann. »Hast du Jurema getötet?«
Als Rufino kopfschüttelnd verneint, gibt er keinerlei Kommentar ab. Für einen Augenblick scheint er sich seiner Neugier zu schämen. Er deutet auf die Caatinga hinter sich:
»Ein Alptraum«, sagt er. »Sie haben die Soldaten, die sieumgebracht haben, in die Bäume gehängt. Die Geier zerhacken sie. Das Haar sträubt sich einem.«
»Wann bist du von ihm weggegangen?« fällt ihm Rufino ins Wort.
»Gestern abend«, sagt Ulpino. »Er hat sich bestimmt nicht vom Fleck gerührt. Er war todmüde. Er weiß auch nicht, wohin er gehen soll. Dem fehlt es nicht nur an Ehre, sondern auch an Widerstandskraft, und er kann sich nicht orientieren.«
Rufino faßt seinen Arm. Er drückt ihn fest.
»Danke«, sagt er, ihm in die Augen sehend.
Ulpino nickt. Sie verabschieden sich nicht. In großen Sprüngen kehrt der Spurensucher ins Haus zurück, seine Augen blitzen. Jurema und der Zwerg erwarten ihn stehend, verängstigt. Rufino bindet Jurema die Füße los, aber nicht die Hände, und schlingt ihr mir raschen, geschickten Bewegungen den Strick um den Hals. Der Zwerg kreischt auf und schlägt die Hände vors Gesicht. Doch Rufino erwürgt sie nicht, er macht eine Schlinge, an der er sie führen kann.
Er zwingt sie, ihm nach draußen zu folgen. Ulpino ist gegangen. Der Zwerg springt hinter ihnen her, und Rufino dreht sich um und befiehlt ihm: »Mach keinen Lärm.« Jurema stolpert gegen Steine, bleibt am Gestrüpp hängen, doch sie sagt nichts, sie paßt sich dem Tempo Rufinos an. Hinter ihnen faselt der Zwerg von Zeit zu Zeit von Soldaten, die in den Bäumen hängen und von Geiern gefressen werden.
Ich habe in meinem Leben viel Unglück gesehen«, sagte Baronin Estela, auf den ausgetretenen Fußboden blickend. »Draußen, auf dem Land. Dinge, über die sich die Leute in Salvador entsetzen würden.« Sie sah zum Baron hinüber, der, angesteckt vom Hausherrn, dem alten »Oberst« José Bernardo Murau, in einem Schaukelstuhl wippte. »Erinnerst du dich noch an den wild gewordenen Stier, der die Kinder, die vom Katechismus kamen, auf die Hörner nahm? Bin ich in Ohnmacht gefallen? Ich bin
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