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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die dabei, die meine Frau war?« hört er sich sagen. »Sie hat einen Zwerg bei sich, nicht wahr?« »Dann wird sie es sein«, bestätigt der Jagunço. In diesem Augenblick durchsiebt eine Salve Schüsse die zwei Wache stehenden Soldaten, und gleichzeitig sind Schreie im Haus, Geheul, Rennen, ein Schuß zu hören. Zwischen den Jagunços laufend, zieht Rufino sein Messer, die einzige Waffe, die ihm geblieben ist. In der Tür und an den Fenstern sieht er Soldaten auftauchen, die schießen oder zu flüchten versuchen. Aber sie kommen nicht weit, dann werden sie von Pfeilen oder Kugeln getroffen oder von Jagunços niedergerissen und mit Jagdmessern und Macheten erledigt. Da rutscht Rufino aus und fällt. Als er aufsteht, hört er denschauerlichen Ton der Holzpfeifen und sieht, wie der blutige Leichnam eines Soldaten, dem sie die Uniform abgerissen haben, aus dem Fenster geworfen wird. Mit einem dumpfen Schlag prallt der Körper auf die Erde.
    Als Rufino das Haus betritt, schwindelt ihn bei dem Anblick der Gewalttätigkeit. Auf dem Boden liegen sterbende Soldaten, an denen Trauben von Männern und Frauen mit Messern, Stecken und Steinen ihre Wut auslassen. Erbarmungslos schlagen und verwunden sie, unterstützt noch von denen, die nach ihnen ins Haus eindringen. Die Frauen sind es, vier oder fünf, die laut kreischen und ihren Opfern die Uniformen vom Leib reißen, um sie tot oder sterbend noch in ihrer Männlichkeit zu beleidigen. Überall ist Blut und Gestank, im Boden klaffen ein paar Löcher, in denen Jagunços der Patrouille aufgelauert haben. Eine Frau, unter einem Tisch zusammengekrümmt, hat eine Wunde in der Stirn und stöhnt.
    Sicher, daß in diesem Zimmer nicht ist, was er sucht, bahnt sich Rufino einen Weg in die anderen Räume. Es sind drei nebeneinander, einer steht offen, niemand ist darin. Durch die Ritzen des zweiten sieht er eine Bettstatt und die auf dem Boden ausgestreckten Beine einer Frau. Er macht auf und erblickt Jurema. Sie lebt, und ihr Gesicht verzerrt sich, als sie das seine erkennt, wie unter einem Schlag zieht sich alles an ihr zusammen. Neben Jurema, entstellt vor Angst, winzig, sieht Rufino den Zwerg, den er seit je zu kennen meint, und auf dem Bett den jungen Leutnant, auf den zwei Jagunços noch immer mit Messern einstechen, obwohl er tot ist: bei jedem Hieb brüllen sie, das Blut spritzt bis zu Rufino. Bewegungslos, den Mund halb offen, verstört, sieht Jurema ihn an: ihre Nase ist schmal geworden, aus ihren Augen spricht panische Angst und Resignation. Der Spurensucher bemerkt, daß der barfüßige Jagunço mit dem indianischen Einschlag hereingekommen ist und den anderen hilft, den Leutnant hochzuheben und durchs Fenster auf die Straße zu werfen. Dann ziehen sie mit der Uniform, dem Gewehr und dem Tornister des Toten ab. Als er an Rufino vorbeigeht, murmelt er, auf Jurema deutend: »Siehst du, sie war es.« Der Zwerg beginnt, Sätze von sich zu geben, die Rufino hört, aber nicht versteht. Er steht immer noch an der Tür, still, nun wieder mit ausdruckslosem Gesicht. Sein Herzschlag beruhigt sich, und dem anfänglichen Schwindelgefühl folgt vollständige Gelassenheit. Jurema liegt noch immer auf dem Boden, sie hat keine Kraft aufzustehen. Durchs Fenster sind die Jagunços zu sehen, die sich in der Caatinga entfernen.
    »Sie gehen fort«, stammelt der Zwerg, und seine Augen flattern zwischen beiden hin und her. »Wir müssen auch gehen, Jurema.«
    Rufino schüttelt den Kopf.
    »Sie bleibt«, sagt er leise. »Geh du.«
    Doch der Zwerg geht nicht. Verwirrt, unschlüssig, ängstlich läuft er durch das leere Haus, den Gestank, das Blut, er verflucht sein Schicksal, er ruft nach der Bärtigen, er bekreuzigt sich und erbittet etwas von Gott. Inzwischen sieht Rufino die Zimmer durch. Er findet zwei Strohsäcke und schleift sie ins vorderste Zimmer, von dem aus die einzige Straße und die Häuser von Caracatá zu übersehen sind. Automatisch hat er die Matratzen gepackt, ohne zu wissen, was er damit will, aber jetzt, wo sie da sind, weiß er es: schlafen. Sein Körper ist wie ein Schwamm, den Wasser füllt und nach unten zieht. Er nimmt einen Strick von einem Haken, geht zu Jurema und befiehlt: »Komm.« Sie folgt ihm, ohne Neugier, ohne Angst. Er läßt sie neben den Matratzen niedersitzen und fesselt sie an Händen und Füßen. Der Zwerg steht neben ihr, außer sich vor Entsetzen. »Töte sie nicht! Töte sie nicht!« schreit er. Der Spurensucher legt sich auf die Matratze und befiehlt,

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