Der Krieg am Ende der Welt
keine schwache Frau. Während der großen Dürre, zum Beispiel, haben wir grauenhafte Dinge gesehen, oder nicht?«
Der Baron nickte. José Bernardo Murau und Adalberto deGumucio, der aus Salvador gekommen war, um die Canabravas auf der Fazenda Pedra Vermelha zu treffen, gaben sich alle Mühe, natürlich zu wirken, konnten aber ihr Unbehagen über die Aufgeregtheit der Baronin kaum verbergen. Diese Frau, die so diskret war, so unsichtbar hinter ihrem höflichen Benehmen, deren Lächeln eine unantastbare Mauer zwischen ihr und den anderen errichtete, plapperte und jammerte nun drauflos in endlosen Monologen, als hätte sie die Schwatzsucht. Nicht einmal Sebastiana, die von Zeit zu Zeit kam, um ihr die Stirn mit Kölnischwasser zu befeuchten, brachte sie zum Schweigen. Weder ihr Mann noch der Hausherr, noch Gumucio hatten sie überreden können, sich zurückzuziehen und auszuruhen.
»Ich bin vorbereitet auf Unglück«, wiederholte sie, flehend die weißen Hände nach ihnen ausstreckend. »Aber Calumbí brennen zu sehen war schlimmer, als meine Mutter sterben zu sehen, als sie heulen zu hören vor Schmerz und ihr selbst das Laudanum zu geben, an dem sie gestorben ist. Diese Flammen brennen fort hier innen.« Sie berührte ihren Magen und krümmte sich zitternd zusammen. »Es war, als wären mir die Kinder verbrannt, die ich bei der Geburt verloren habe.«
Sie wandte den Kopf, um den Baron, »Oberst« Murau und Gumucio anzusehen. Gumucio lächelte ihr zu. Er hatte versucht, das Gespräch auf andere Themen zu bringen, doch jedesmal war die Baronin auf den Brand von Calumbí zurückgekommen. Er versuchte noch einmal, sie von dieser Erinnerung abzulenken.
»Und doch, meine liebe Estela, findet man sich mit den schlimmsten Tragödien ab. Habe ich dir je gesagt, was der Mord an meiner Schwester Adelinha Isabel für mich gewesen ist? Was ich gefühlt habe, als die Leiche gefunden wurde, verwest und von den Dolchstichen der zwei Neger bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt?« Er räusperte sich, rutschte auf seinem Sessel. »Deshalb sind mit Pferde lieber als Neger. In den unteren Klassen und Rassen gibt es einen Bodensatz an Barbarei und Gemeinheit, daß einen schwindelt. Und dennoch, meine liebe Estela, schickt man sich in den Willen Gottes, man fügt sich und entdeckt, daß trotz aller Leiden das Leben voll schöner Dinge ist.«Die rechte Hand der Baronin legte sich auf Gumucios Arm:
»Verzeih, daß ich dich an Adelinha Isabel erinnert habe«, sagte sie liebevoll. »Verzeih mir.«
»Du hast mich nicht an sie erinnert, weil ich sie nie vergesse«, lächelte Gumucio und nahm die Hand der Baronin in die seinen. »Zwanzig Jahre sind vergangen, und es ist immer noch, als wäre es gestern gewesen. Ich spreche dir von Adelinha Isabel, damit du siehst, daß der Verlust von Calumbí eine Wunde ist, die vernarben wird.«
Die Baronin versuchte zu lächeln, aber das Lächeln wurde zum Flunsch. Zwischen Calumbí und hier hat sie aufgehört, die junge, schöne, tapfere Frau zu sein, die sie war, dachte der Baron. Sie hatte Ringe unter den Augen, eine düstere Falte stand auf ihrer Stirn, ihre Züge waren erschlafft, und die Lebhaftigkeit und Sicherheit, die er immer in ihren Augen gesehen hatte, waren verschwunden. Hatte er ihr zuviel zugemutet? Hatte er seine Frau seinen politischen Interessen geopfert? Er erinnerte sich, daß ihm Luiz Viana und Adalberto de Gumucio abgeraten hatten, Estela mitzunehmen, als er beschlossen hatte, nach Calumbí zurückzukehren: die Gegend sei wegen Canudos zu unruhig. Er fühlte ein tiefinneres Unbehagen. Aus Unbesonnenheit und Egoismus hatte er der Frau, die er mehr liebte als irgend etwas auf der Welt, einen vielleicht irreparablen Schaden zugefügt. Und doch, als Aristarco, der neben ihm galoppiert war, ihn aufmerksam gemacht hatte: »Sehen Sie, Calumbí brennt schon«, hatte Estela unglaublich Haltung bewahrt. Sie hatten auf einer Anhöhe gehalten, von der aus der Baron, wenn er auf die Jagd ging, die Gegend zu beobachten pflegte. Es war der Ort, an den er Besucher führte, um ihnen die Fazenda zu zeigen, der Luginsland, auf den alle liefen, um die Schäden von Überschwemmungen und anderen Katastrophen zu überblicken. Nun sahen sie in der windstillen, sternlosen Nacht die rot, blau, gelb auflodernden Flammen, in denen das Herrenhaus verbrannte, mit dem das Leben aller Anwesenden verknüpft war. In der Dunkelheit hatte er Sebastiana aufschluchzen hören, hatte er Tränen in den Augen Aristarcos
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