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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ohne ihn anzusehen:
    »Stelle dich dahin, und wenn jemand kommt, weckst du mich.«
    Der Zwerg blinzelt, verblüfft, doch dann nickt er und springt an die Tür. Rufino schließt die Augen. Ehe er im Schlaf verschwindet, fragt er sich, ob er Jurema noch nicht getötet hat, weil er sie leiden sehen will, oder weil jetzt, da er sie hat, sein Haß geringer ist. Er hört, daß sie sich auf die andere Matratze wirft, einen Meter von ihm. Heimlich, durch halbgeschlossene Lider, späht er zu ihr hinüber: sie ist mager geworden, ihre Augen sind eingesunken, resigniert, die Kleider zerfetzt, das Haar zerzaust. An einem Arm hat sie Schrammen.
    Als Rufino erwacht, springt er mit einem Satz auf, wie aus einemAlptraum. Doch er erinnert sich nicht, geträumt zu haben. Ohne einen Blick auf Jurema, tritt er neben den Zwerg, der noch an der Tür steht und ihn halb ängstlich, halb hoffend anschaut. Darf er mit? Rufino nickt. Sie sprechen kein Wort, während der Spurenleser im letzten Licht der Abenddämmerung nach Eßbarem und Trinkbarem sucht. Als sie zurückkommen, fragt ihn der Zwerg: »Wirst du sie töten?« Rufino gibt keine Antwort. Er holt Kräuter, Wurzeln, Blätter, Schößlinge aus seinem Proviantsack und legt sie auf die Matratze. Er sieht Jurema nicht an, während er sie losbindet, oder sieht sie an, als ob sie nicht da wäre. Der Zwerg hat eine Handvoll Kräuter im Mund und kaut emsig. Auch Jurema beginnt mechanisch zu kauen und zu schlucken, von Zeit zu Zeit reibt sie sich die Handgelenke und Fesseln. Schweigend essen sie, während es draußen vollends dunkelt und die Geräusche der Insekten lauter werden. Rufino denkt, daß der Gestank der gleiche ist wie damals, als er eine ganze Nacht in einer Falle neben einem toten Tiger verbracht hat. Plötzlich hört er Jurema:
    »Warum tötest du mich nicht endlich?«
    Er blickt weiter ins Leere, als hätte er sie nicht gehört, doch er lauscht dieser Stimme, die angespannter, schriller wird:
    »Glaubst du, ich habe Angst vor dem Sterben? Ich habe keine. Im Gegenteil, dazu habe ich dich erwartet. Glaubst du, ich hätte es nicht satt, ich wäre nicht müde? Ich hätte mich selber umgebracht, wenn Gott es nicht verbieten würde, wenn es keine Sünde wäre. Wann wirst du mich töten? Warum nicht jetzt?«
    »Nein, nein«, stammelt der Zwerg und legt bittend die Hände zusammen.
    Der Spurensucher rührt sich nicht, antwortet nicht. Sie sitzen fast im Dunkeln. Einen Augenblick später fühlt Rufino, daß sich Jurema an ihn heranschiebt, bis sie ihn berührt. Sein Körper verkrampft sich, in seiner Empfindung mischen sich Ekel, Begehren, Enttäuschung, Wut, Bedauern. Doch er gibt es nicht zu erkennen.
    »Vergiß, was geschehen ist! Bei der Heiligen Jungfrau, beim guten Jesus, vergiß es«, hört er sie flehen und fühlt sie zittern.
    »Es war ja Gewalt, ich hatte keine Schuld, ich habe mich gewehrt. Hör auf zu leiden, Rufino.«Sie schlingt die Arme um ihn, und sofort schiebt sie der Spurensucher ohne Heftigkeit von sich. Er steht auf, tastet nach den Stricken und fesselt sie wortlos. Dann setzt er sich wieder auf seinen Platz.
    »Ich habe Hunger, ich habe Durst, ich bin müde, ich will nicht mehr leben«, hört er sie schluchzen. »Töte mich doch endlich.«
    »Ich werde es tun«, sagt er. »Aber nicht hier, sondern in Calumbí. Sie sollen dich sterben sehen.«
    Eine längere Zeit vergeht. Juremas Schluchzen läßt nach und hört endlich ganz auf.
    »Du bist nicht mehr der Rufino, der du warst«, hört er sie murmeln.
    »Du auch nicht«, sagt er. »Du hast jetzt eine Milch in dir, die nicht von mir stammt. Jetzt weiß ich, warum dich Gott schon im voraus gestraft und nicht zugelassen hat, daß du schwanger wirst.«
    Plötzlich fällt Mondlicht schräg durch Türen und Fenster und macht den in der Luft schwebenden Staub sichtbar. Der Zwerg rollt sich zu Füßen Juremas zusammen, und auch Rufino streckt sich aus. Wie lange liegt er so, die Zähne zusammengebissen, grübelnd, sich erinnernd? Als er die beiden sprechen hört, ist es, als wache er auf, doch er hat kein Auge geschlossen.
    »Warum bleibst du hier, wenn dich niemand zwingt?« fragt Jurema. »Wie hältst du diesen Gestank aus, diese Ungewißheit? Geh nach Canudos, das ist besser.«
    »Ich habe Angst zu gehen und Angst zu bleiben«, wimmert der Zwerg. »Ich kann nicht allein sein. Seit mich der Zigeuner gekauft hat, bin ich nie allein gewesen. Ich fürchte mich vor dem Sterben, wie jedermann.«
    »Die Frauen, die auf die

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