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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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entstand, Schatten kamen und bahnten sich mit dem Ruf »Wassermänner! Wassermänner!« einen Weg. Sie erkannte Antônio und Honório Vilanova und begriff, wohin sie gingen. Vor zwei oder drei Tagen hatte der Kaufmann dem Ratgeber erklärt, er habe unter anderem die Wassermänner angewiesen, im Fall eines Kampfes die Verwundeten zu holen und in die Gesundheitshäuser zu bringen und die Toten in einen Stall zu tragen, der in ein Leichenhaus umgewandelt worden war, damit sie später ein christliches Begräbnis erhielten. Die Wasserausträger begannen ihre Arbeit als Krankenwärter und Totengräber. Maria Quadrado betete für sie und dachte: Alles geschieht, wie es verkündet war.
    Nicht weit von ihr weinte jemand. Anscheinend waren nur Frauen und Kinder auf dem Platz. Wo waren die Männer? Sicher waren sie auf die Hochstände geklettert, kauerten in den Schützengräben oder standen jetzt hinter João Abade, Macambira, Pajeú, João Grande, Pedrão, Taramela und den anderen Chefs und spähten, in Erwartung des Antichrist, in die Dunkelheit. Sie fühlte Dankbarkeit, Liebe für diese Männer, diehingingen, den Biß des Hundes zu empfangen und vielleicht zu sterben. Sie betete für sie, eingewiegt von den Glocken auf dem Turm.
    Und so verging die Nacht zwischen kurzen Regengüssen, deren Rauschen den Glockenturm zum Schweigen brachte, und einzelnen Kanonenschüssen, die ein oder zwei Häuser zertrümmerten und einen Brand auslösten, den der nächste Regenguß wieder löschte. Eine Rauchwolke breitete sich über der Stadt aus, und in ihrer Schläfrigkeit, den Löwen im Arm, hörte Maria Quadrado husten und spucken. Plötzlich wurde sie gerüttelt. Sie schlug die Augen auf und sah im schwachen Licht der Frühe, das noch gegen die Nacht ankämpfte, die frommen Frauen um sich. Der Löwe von Natuba schlief, an ihre Knie gelehnt. Die Glocken läuteten noch immer. Die frommen Frauen umarmten Maria Quadrado, sie hatten sie gesucht, nach ihr gerufen, aber sie hörte sie kaum vor Müdigkeit und Betäubung. Sie weckte den Löwen. Aus dem Urwald seiner Zotteln blickten seine großen, glänzenden Augen sie an. Mühsam standen sie auf.
    Ein Teil des Platzes hatte sich geleert, und Alexandrinha Corrêa erklärte ihr, Antônio Vilanova habe angeordnet, daß alle Frauen, die in der Kirche keinen Platz mehr fänden, in ihre Häuser heimkehren und sich in die Schutzlöcher begeben sollten, denn der Kirchplatz werde beschossen, sobald es Tag werde. Zwischen den frommen Frauen gingen der Löwe von Natuba und Maria Quadrado in den Tempel des guten Jesus. Die Katholische Wachmannschaft ließ sie ein. In dem Gewirr von Gerüstbalken und halberrichteten Mauern war es noch dunkel. Sie fühlte, wie sie geschoben, gezogen, geführt wurde, hin zu den Gerüsten, auf denen Trauben von Menschen nach draußen sahen. Von starken Armen gestützt, stieg sie hinauf, ohne den Löwen loszulassen, der ihr manchmal zu entgleiten drohte. Ehe sie den Glockenturm erreichte, hörte sie wieder, sehr fern, einen Kanonenschuß.
    Auf dem Glockenstuhl, endlich, sah sie den Ratgeber. Er lag betend auf den Knien, abgeschirmt von Männern, die keinen über die Stiege heraufließen. Maria Quadrado und den Löwen ließen sie durch. Sie warf sich zu Boden und küßte die mit Erde verkrusteten Sohlen des Ratgebers. Als sie aufstand, bemerktesie, daß es rasch heller wurde. Sie trat an das Geländer aus Stein und Holz, und blinzelnd sah sie auf den Hügeln einen grauen, mit Blau und Rot und Blitzendem vermischten Fleck, der sich auf Canudos zu bewegte. Sie fragte die düster blickenden, schweigenden, abwechselnd die Glockenseile ziehenden Männer nicht, was dieser Fleck sei, denn ihr Herz sagte ihr: Es waren die Hunde. Nun kamen sie, gemästet mit Haß, nach Belo Monte, um ein neues Blutbad unter den Unschuldigen anzurichten.
    Sie werden mich nicht töten, denkt Jurema. Sie läßt sich fortziehen von den Soldaten, die sie mit eisernem Griff an den Handgelenken halten, sie ruckweise in das Labyrinth aus Zweigen, Dornen, Stämmen und schmutziger Erde zerren. Sie rutscht aus und steht wieder auf, mit entschuldigenden Blicken auf die Männer in den zerfetzten Uniformen, in deren Augen und halb offenen Mündern sie wahrnimmt, was sie an jenem Morgen in Queimadas kennengelernt hat, als sich Gall nach dem Schußwechsel auf sie geworfen hat. Mit einer Gelassenheit, die sie selbst überrascht, denkt sie: Solange sie diesen Blick haben, solange sie das wollen, werden sie mich nicht

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