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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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in Körbe werfen oder auf Picken und Bajonette stecken, dieselben, mit denen die Soldaten gekommen sind, um die ihren aufzuspießen, aufzufädeln oder an den Haaren mitzunehmen, und andere zünden Feuer an, in denen knisternd, knackend, zuckend, aufplatzend die kopflosen Leichen zu verkohlen beginnen. Ein Scheiterhaufen ist ganz nahe, und er sieht, daß ein paar Männer mit blauen Armbinden auf die zwei bereits bratenden Körper andere menschliche Überreste werfen. Jetzt bin ich an der Reihe, denkt er, sie werden kommen, meinen Kopf abschneiden, ihn aufspießen und mitnehmen, und meinen Leib werden sie in dieses Feuer werfen. Immer noch ist er schläfrig und durch die unendliche Müdigkeit immun gegen alles. Obwohl die Jagunços sprechen, versteht er sie nicht.
    Da sieht er Pater Joaquim kommen. Ja, Pater Joaquim. Er geht nicht, er kommt, er läuft nicht, er geht, breitbeinig tritt er aus diesem Erdstaub hervor, der dem Journalisten schon seit einiger Zeit das Niesen ankündigende Jucken in der Nase verursacht, und macht immer noch Gesten, Mienen, Zeichen für alle und jeden, selbst für diese brennenden Toten. Er ist verschmutzt, zerlumpt, zerzaust. Der kurzsichtige Journalist steht auf, als er neben ihm ist, und sagt: »Gehen Sie nicht, nehmen Sie mich mit, lassen Sie nicht zu, daß sie mir den Kopf abschneiden, daß sie mich verbrennen ...« Hört ihn der Pfarrer von Cumbe? Er redet mit sich oder mit Gespenstern, er wiederholt unverständliche Dinge, unbekannte Namen, gestikuliert. Der Journalist geht an seiner Seite, ganz nahe an ihm, und fühlt, daß diese Nachbarschaft ihn neu belebt. Rechts von ihm, bemerkt er, geht die barfüßige Frau mit dem Zwerg. Mager, mit Erde verkrustet, sehen sie aus wie Schlafwandler. Nichts von dem, was er sieht und hört, überrascht, erschreckt,interessiert ihn. Ist das die Ekstase? Er denkt: Nicht einmal das Opium in Salvador ... Im Vorbeigehen sieht er, daß die Jagunços in vereinzelten Bäumen zu beiden Seiten des Weges Kappen, Uniformröcke, Feldflaschen, Umhänge, Decken, Sattelzeug, Stiefel aufhängen, als würden sie Weihnachtsbäume schmücken, doch es kümmert ihn nicht. Und als er, absteigend zu diesem Meer aus Dächern und Trümmern, das Canudos ist, zu beiden Seiten des Weges, aufgereiht, einander gegenüber, von Insekten zerfressen, die Köpfe von Soldaten sieht, wird weder sein Herz verrückt, noch kehren ihm Angst und Schreckensvisionen zurück. Nicht einmal dann erschrickt er, als eine absurde Gestalt, eine von diesen Vogelscheuchen, die in den Saatfeldern aufgestellt werden, ihnen den Weg versperrt und er in der nackten, fetten, auf einen Ast gespießten Figur Körper und Gesicht von Oberst Tamarindo erkennt. Doch einen Augenblick später hält er jäh inne und mustert mit der nun erreichten Gelassenheit einen dieser von Fliegenschwärmen wie von Aureolen umrandeten Köpfe. Kein Zweifel: es ist der Kopf Moreira Césars.
    Das Niesen befällt ihn so urplötzlich, daß er keine Zeit mehr hat, die Hände zu heben und seine Brille festzuhalten. In hohem Bogen springt sie ab, und er, gekrümmt unter dem Ansturm der Niessalven, ist sich sicher, den Aufprall auf Stein gehört zu haben. Sobald er kann, kniet er nieder, tastet den Boden ab. Er findet sie sofort. Und nun, da er feststellt, daß die Gläser zersplittert sind, kehrt der Alptraum der letzten Nacht, des Morgens, des eben vergangenen Augenblicks zu ihm zurück.
    »Halt, halt«, schreit er, während er sich die Brille aufsetzt und eine zersprungene, zerscherbte, in Punkte zerfallene Welt sieht. »Ich sehe nichts, helft mir!«
    Er fühlt in seiner rechten Hand eine Hand, die, nach der Größe, nach dem Druck zu schließen, nur die der barfüßigen Frau sein kann. Ohne ein Wort zu sagen, zieht sie ihn mit, orientiert ihn in dieser plötzlich unbegreiflichen, blinden Welt.
    Das erste, was Epaminondas Gonçalves überraschte, als er den Palast des Barons de Canabrava betrat, in den er nie den Fuß gesetzt hatte, war der Geruch von Essig und aromatischenKräutern in den Räumen, durch die ihn ein schwarzer Diener mit einem Leuchter geleitete. Er führte ihn in eine kleine Bibliothek, in der eine Lampe aus grünlichem Kristall brannte, so daß der oval auslaufende Schreibtisch, die Sessel und die mit Nippes bestandenen Tischchen etwas Urwaldartiges bekamen. Er blätterte in einer alten Mappe, konnte eben noch in roten Lettern den Namen Calumbí lesen, als der Baron eintrat. Sie gaben sich ohne Wärme die Hand, wie

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