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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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aus denen magere gelbliche Zehen mit langen, schwarzen Nägeln hervorsahen. Er zertrat ihn nicht, er ließ ihn laufen und in den Garben aneinandergelehnter Gewehre verschwinden.
    »Alle diese Geschichten sind wahr und sind nicht einmal die ganze Wahrheit«, setzte er auf die gleiche trübsinnige Weise hinzu. »Alle diese Gewalttaten: Totschlag, Raub, Plünderungen, Racheakte, nutzlose Grausamkeiten, wie das Abschneiden von Nasen und Ohren. Dieses ganze Leben aus Wahnsinn und Hölle. Und dennoch ist er hier, wie João Abade, wie Taramela, Pedrão und die anderen ... Der Ratgeber hat das Wunder vollbracht, er hat den Wolf zum Lamm gemacht und in die Herde zurückgeführt. Und weil er Wölfe zu Lämmern gemacht hat, weil er Menschen, die nur Angst und Haß, Hunger und Verbrechen und Raub kannten, bewogen hat, ihr Leben zu ändern, weil er aus der Brutalität dieses Landes Geistigkeit gemacht hat, deshalb schicken sie ein Heer nach dem andern, um diese Menschen auszurotten. Welche Verwirrung ist über Brasilien, über die Welt gekommen, daß eine solche Untat begangen werden kann? Muß man nicht auch darin dem Ratgeber recht geben und denken, daß sich in der Tat der Satan Brasiliens bemächtigt hat und die Republik der Antichrist ist?«
    Er sprach nicht schnell, er hob nicht die Stimme, er war weder zornig noch traurig. Nur bedrückt.
    »Es ist nicht aus Starrsinn oder weil ich ihn hasse«, hörte der Zwerg Jurema mit derselben Festigkeit sagen. »Einen anderen als Pajeú würde ich ebensowenig nehmen. Ich will nicht wieder heiraten, Pater.«
    »Es ist gut, ich habe es verstanden«, seufzte der Pfarrer von Cumbe. »Wir werden das in Ordnung bringen. Wenn du nicht willst, heiratest du ihn nicht. Du brauchst dir deshalb nicht das Leben nehmen. Der, der die Leute in Belo Monte traut, bin ich, eine Zivilehe gibt es hier nicht.« Der Anflug eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht, und in seinen Augen blinkte es verschmitzt. »Aber wir können es ihm nicht so ins Gesichtsagen. Wir dürfen ihn nicht verletzen. Die Empfindlichkeit von Leuten wie Pajeú ist eine schreckliche Krankheit. Etwas, das mich immer gewundert hat: dieses über die Maßen heikle Ehrgefühl. Sie sind eine offene Wunde. Haben nichts, aber Ehre im Überfluß. Sie ist ihr Reichtum. Gut, sagen wir ihm erst einmal, deine Witwenschaft sei noch zu kurz, als daß du jetzt eine neue Ehe eingehen könntest. Wir lassen ihn warten. Aber noch etwas. Es ist wichtig für ihn. Bring ihm das Essen nach Fazenda Velha. Er hat mir davon gesprochen. Er braucht das Gefühl, daß sich eine Frau um ihn kümmert. Das ist nicht viel. Es wird ihn freuen. Und von dem anderen werden wir ihn nach und nach abbringen.«
    Der Morgen war ruhig gewesen, nun waren vereinzelt und fern Schüsse zu hören.
    »Du hast eine Leidenschaft geweckt«, fügte Pater Joaquim hinzu, »eine große Leidenschaft. Gestern nacht kam er ins Sanktuarium und bat den Ratgeber um Erlaubnis, dich heiraten zu dürfen. Er würde auch die zwei anderen bei sich aufnehmen, sagte er, da sie deine Familie seien, er würde sie zu sich nehmen ...«
    Unvermittelt stand er auf. Der Kurzsichtige wurde von einem Niesanfall geschüttelt, und der Zwerg lachte, hocherfreut über die Idee, der Adoptivsohn Pajeús zu werden: nie mehr würde er hungern müssen.
    »Auch dafür nicht, um nichts in der Welt würde ich ihn heiraten«, wiederholte Jurema unerschütterlich. Obwohl sie, die Augen niederschlagend, anfügte: »Aber wenn Sie meinen, daß ich es tun soll, bringe ich ihm das Essen.«
    Pater Joaquim nickte und wandte sich zum Gehen, als der Kurzsichtige mit einem Satz aufsprang und ihn am Arm festhielt. An seiner Aufgeregtheit erriet der Zwerg, was er sagen würde.
    »Sie können mir helfen«, flüsterte er, nach rechts und links Ausschau haltend. »Tun Sie es um Ihres Glaubens willen, Pater. Ich habe mit dem, was hier geschieht, nichts zu tun. Ich bin nur durch einen unglücklichen Zufall in Canudos, Sie wissen, daß ich weder Soldat noch ein Spion bin, daß ich niemand bin. Helfen Sie mir, ich bitte Sie.«
    Der Pfarrer von Cumbe sah ihn mitleidig an.»Von hier fortzukommen?« murmelte er.
    »Ja, ja«, stammelte der Kurzsichtige und schwenkte den Kopf.
    »Man hat es mir verboten, das ist nicht gerecht ...«
    »Sie hätten das Weite suchen müssen, als es noch möglich war«, flüsterte Pater Joaquim, »als noch nicht überall Soldaten standen.«
    »Sehen Sie nicht, in welchem Zustand ich bin«, winselte der Kurzsichtige und

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