Der Krieg am Ende der Welt
deutete auf seine geröteten, wäßrigen, unruhig hin und her irrenden Augen. »Sehen Sie nicht, daß ich ohne Brille ein Blinder bin? Hätte ich allein durch den Sertão stolpern sollen?« Seine Stimme brach in einem Aufschrei: »Ich will nicht sterben wie eine Ratte!«
Der Pfarrer von Cumbe blinzelte wiederholt, und dem Zwerg lief ein kalter Schauer über den Rücken, wie immer, wenn der Kurzsichtige ihrer aller baldigen Tod voraussagte.
»Auch ich möchte nicht sterben wie eine Ratte«, sagte der Pfarrer Wort um Wort und verzog angeekelt das Gesicht. »Auch ich habe nichts mit diesem Krieg zu tun. Und dennoch ...« Er schüttelte den Kopf, wie um ein Bild zu verscheuchen. »Selbst wenn ich wollte, könnte ich Ihnen nicht helfen. Nur Bewaffnete verlassen Canudos: zum Kampf. Wollen Sie mit denen gehen?« Er machte eine bittere Geste. »Wenn Sie an Gott glauben, dann empfehlen Sie sich seinem Schutz an. Er ist der einzige, der uns noch retten kann. Und wenn Sie nicht glauben, dann, mein Freund, fürchte ich, wird Ihnen niemand mehr helfen können.«
Gebückt, die Füße nachschleifend, traurig ging er. Sie hatten keine Zeit, seinen Besuch zu besprechen, denn in diesem Augenblick betraten die Brüder Vilanova den Laden, gefolgt von mehreren Männern. Der Zwerg entnahm ihrem Gespräch, daß die Jagunços westlich von Fazenda Velha, an einer Biegung des Vaza Barris gegenüber dem Taboleirinho, einen neuen Schützengraben aushoben, da ein Teil der Truppen, von der Favela aus, einen Streifzug zum Cambaio unternommen hatte, wahrscheinlich, um sich dort aufzustellen. Als die Vilanova wieder gingen und Waffen mitnahmen, trösteten Jurema und der Zwerg den Kurzsichtigen, der nach dem Gespräch mit Pater Joaquim so verzweifelt war, daß ihm Tränen über die Backen liefen und seine Zähne klapperten.An diesem Abend ging Jurema in Begleitung des Zwergs, Pajeú das Essen nach Fazenda Velha zu bringen. Sie bat auch den Kurzsichtigen, sie zu begleiten, aber weil der Caboclo ihm Furcht einflößte und weil es gefährlich war, ganz Canudos zu durchqueren, schlug er es ab. Das Essen für die Jagunços wurde in der São Cipriano zubereitet, wo auch die Rinder geschlachtet wurden, die von João Abades Handstreich noch übrig waren. Lange mußten sie anstehen, ehe sie bis zu Catarina kamen, der Frau des Straßenkommandanten, die gleich anderen Frauen Fleisch und Maisbrei verteilte und Lederschläuche, die die »Kleinen« an der Tränke von São Pedro füllen sollten. Catarina gab ihnen einen Korb Fleisch und sie schlossen sich dem Zug an, der sich zu den Schützengräben in Bewegung setzte. Sie mußten durch den Beco de São Crispim gehen, dann, gebückt oder auf allen vieren, durch die Schluchten am Vaza Barris. Hinter dem Fluß konnten die Frauen nicht mehr in Gruppen gehen, sie mußten einzeln und im Zickzack laufen oder, wie es die Vorsichtigsten machten, kriechen. Dreihundert Meter lagen zwischen den Schluchten und den Schützengräben, und während er, dicht an Jurema gedrängt, rannte, sah der Zwerg rechts die Türme des Tempels, vollgestopft mit Schützen, und links die Hänge der Favela, von der her sicher Tausende von Gewehren auf sie zielten. Schwitzend erreichte er den Rand des Schützengrabens, zwei Arme hoben ihn hinunter. Er sah das verwüstete Gesicht Pajeús.
Er schien nicht überrascht, sie hier zu sehen. Er half Jurema, die er wie eine Feder hochhob, und begrüßte sie mit einem Kopfnicken, ohne zu lächeln, ganz selbstverständlich, als käme sie seit Tagen. Er nahm den Korb und hieß sie zurücktreten, da sie den Frauen im Weg standen. Der Zwerg ging zwischen den Jagunços durch, die im Hocken aßen, mit den Frauen plauderten oder durch Rohre und ausgehöhlte Holzstücke spähten, um schießen zu können, ohne gesehen zu werden. Schließlich weitete sich der Gang zu einem Halbrund. Hier war weniger Gedränge, und Pajeú setzte sich in eine Ecke. Er winkte Jurema neben sich. Für den Zwerg, der nicht wußte, ob auch er kommen sollte, deutete er auf den Korb. Also setzte er sich neben sie und aß mit Jurema und Pajeú.
Eine ganze Weile sprach der Caboclo kein Wort. Er aß undtrank, ohne seine Besucher auch nur anzusehen. Auch Jurema sah ihn nicht an, und der Zwerg sagte sich, daß es dumm von ihr war, einen Mann als Gatten auszuschlagen, der alle ihre Probleme lösen konnte. Was tat es, daß er häßlich war? Von Zeit zu Zeit beobachtete er Pajeú. Niemand hätte geglaubt, daß derselbe Mann, der da mit kaltem
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