Der Krieg am Ende der Welt
Fragen stellen, begreift aber, daß dazu keine Zeit ist. Was hat er zu tun? João Abade sagt ihm, daß er und Honório das Gebiet parallel zu den Schluchten des Vaza Barris, östlich des Monte Mário und der Ausfallstraße nach Jeremoabo übernehmen müssen. Ohne weitere Erklärung bittet er ihn, sofort Bescheid zu geben, wenn Soldaten auftauchen, denn essei wichtig, daß sie rechtzeitig entdecken, von welcher Seite sie stürmen wollen. Vilanova und seine vierzehn Männer beginnen zu laufen.
Die Müdigkeit ist wie durch Zauber verschwunden. Auch das muß ein Zeichen der göttlichen Gegenwart sein, auch das eine Äußerung des Übernatürlichen an seiner Person. Wie anders wäre es zu erklären, wenn nicht durch den Vater, den Heiligen Geist oder den guten Jesus? Seit er von dem bevorstehenden Angriff weiß, hat er nichts anderes getan als gehen und laufen. Noch vor kurzem, an der Lagoa do Cipó, versagten ihm fast die Beine und sein Herz schlug so wild, daß er fürchtete, ohnmächtig zu werden. Und nun läuft er abermals auf steinigem Gelände durch dieses Ende der Nacht, die die feuerspeienden Bombarden der Truppe erhellen und durchdröhnen. Er fühlt sich ausgeruht, voll Energie, jeder Anstrengung fähig, und so, weiß er, fühlen sich auch die vierzehn neben ihm laufenden Männer. Wer, wenn nicht der Vater, kann eine solche Wandlung bewirken, sie, wenn es die Umstände erfordern, derart verjüngen? Viele Male in diesen Wochen, wenn er glaubte, er werde zusammenbrechen, hat er plötzlich neue Kräfte gespürt, die ihn aufzurichten, zu erneuern, ihm einen Schwung neuen Lebens einzuflößen schienen.
Während der halben Stunde, die sie brauchen, um laufend, gehend, laufend die Schützengräben am Vaza Barris zu erreichen, sieht Antônio die Flammen von Bränden. Er denkt nicht, daß eines dieser Feuer sein Haus verwüsten könnte, sondern: Wird das System funktionieren, das er sich ausgedacht hat, um das Umsichgreifen der Brände zu verhüten? Zu diesem Zweck stehen an den Straßenecken Hunderte von Fässern und Kisten voll Sand. Die Leute, die in der Stadt bleiben, wissen, daß sie, sobald ein Brand ausbricht, laufen müssen, um mit Kübeln voll Sand das Feuer zu löschen. Antônio selbst hat in jedem Viertel Gruppen von Frauen, Kindern und alten Leuten diese Aufgabe übertragen.
In den Schützengräben trifft er seinen Bruder Honório und seine Frau und seine Schwägerin. Die Sardelinhas und andere Frauen haben sich unter einem Schutzdach eingerichtet, unter dem Essen und Getränke, Medikamente und Verbandszeug untergebracht sind. »Willkommen, Compadre«, umarmt ihnHonório. Antônio bleibt eine Weile bei ihm, während er mit Appetit die Suppe ißt, die die Sardelinhas den Ankömmlingen reichen. Kaum ist die kurze Verschnaufpause beendet, verteilt der ehemalige Kaufmann seine vierzehn Männer, rät ihnen, ein wenig zu schlafen, und geht mit Honório die Gegend rekognoszieren.
Weshalb hat João Abade ihnen, den unkriegerischsten Kriegern, diese Stadtgrenze übertragen? Sicher, weil sie am weitesten von der Favela entfernt ist: hier werden sie nicht angreifen. Sie müßten drei- oder viermal so weit gehen, wie wenn sie über die Hänge kommen und Fazenda Velha angreifen; sie müßten außerdem, ehe sie an den Fluß kämen, ein zerklüftetes, mit Dornbüschen bewachsenes Terrain überwinden, das die Bataillone zwingen würde, sich zu zersplittern und aufzulösen. So kämpfen die Atheisten nicht. Sie kämpfen in festen Blöcken, diesen Karrees, die den verschanzten Jagunços so gute Ziele bieten.
»Diesen Schützengraben haben wir gemacht«, sagt Honório.
»Erinnern Sie sich, Compadre?«
»Natürlich erinnere ich mich. Sie sind noch unberührt.«
Ja, sie beide haben den Trupp geleitet, der in dieser hügeligen, baum- und buschlosen Zone zwischen Fluß und Friedhof unzählige Erdlöcher für je zwei oder drei Schützen angelegt hat. Die ersten gruben sie vor einem Jahr, nach dem Gefecht bei Uauá. Dann hoben sie nach jedem Kampf weitere Erdlöcher aus, und zuletzt legten sie kleine Rinnen zwischen den Gruben an, damit die Männer von einer zur andern gelangen konnten, ohne gesehen zu werden. Sie sind tatsächlich noch nie benutzt worden: nicht ein einziges Mal wurde in diesem Abschnitt gekämpft.
Am Horizont steigt bläuliches, an den Rändern gelb getöntes Licht auf. Krähende Hähne sind zu hören. »Die Kanonen haben aufgehört zu schießen«, sagt Honório, seinen Gedanken erratend, und Antônio beendet
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