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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Anscheinend halten sie schnurgerade auf uns zu, denkt er. Die Luft ist rein, und trotz der Entfernung sieht er in aller Klarheit die Truppen, in drei Einheiten aufgeteilt, von denen eine direkt auf die Schützenlöcher zuzukommen scheint. Etwas Klebriges im Mund hält seine Worte fest. Honório sagt, er habe schon zwei »Kleine« nach Fazenda Velha und auf die Straße nach Trabubú geschickt, um João Abade und Pedrão Bescheid zu sagen, sie sollten kommen.»Wir müssen sie auf uns nehmen«, hört er sich sagen. »Sie auf uns nehmen, koste es, was es wolle, bis João Abade und Pedräo nach Belo Monte kommen.«
    »Vorausgesetzt, daß sie nicht auch von der Favela her angreifen«, brummt Honório.
    Antônio glaubt es nicht. Vor ihm, entlang der Schlucht des trockenen Flußbetts, kommen Tausende von Soldaten, mehr als drei- vielleicht viertausend Uniformierte: es muß die gesamte verwendungsfähige Streitmacht des Heeres sein. Denn in der Senke zwischen Favela und Monte Mário, das wissen sie durch die »Kleinen« und die Spione, liegen an die tausend Verwundete und Kranke, und ein Teil der Truppe muß zum Schutz des Lazaretts, der Artillerie und der Einrichtungen dort zurückgeblieben sein. Also müssen die Truppen vor ihnen die gesamte Sturmmannschaft sein. Er sagt es Honório, ohne ihn anzusehen, und starrt, während er mit den Fingern prüft, ob die Trommel seines Revolvers gefüllt ist, auf den Abhang zur Schlucht. Obwohl er eine Mannlicher hat, benutzt er lieber diesen Revolver, mit dem er sich geschlagen hat, seit er in Canudos ist. Honório hingegen hat sein Gewehr auf dem Schutzwall in Position gebracht, das Visier ausgestellt, den Finger am Abzug. So stehen sicher auch alle anderen Jagunços in ihren Erdlöchern, des Befehls eingedenk, daß sie erst schießen dürfen, wenn der Feind ganz nahe ist, um Munition zu sparen und den Überraschungseffekt zu nutzen. Er ist ihr einziger möglicher Vorteil, das einzige, was das Ungleichgewicht an Zahl und Ausrüstung ein wenig ausgleichen kann. Ein Kleiner kommt angekrochen und läßt sich ins Loch fallen. Er bringt einen Schlauch voll heißen Kaffee und ein paar Maisfladen. An seinen lebhaften, freundlichen Augen erkennt ihn Antônio. Er heißt Sebastiäo und ist bereits ein Veteran in diesen Kämpfen, da er schon Pajeú und João Grande als Kundschafter gedient hat. Während er den Kaffee trinkt, der ihn munter macht, sieht er den Kleinen mit seinen Schläuchen und Schnappsäcken leise und flink wie eine Eidechse weiterkriechen.
    Wenn sie als Einheit kämen, als kompakte Masse, denkt er. Dann wäre es auf diesem Gelände ohne Bäume, Büsche und Felsen einfach, sie mit einem Kugelhagel aus nächster Näheumzuschießen. Die Bodensenken helfen ihnen wenig, denn aus den höher gelegenen Schützenlöchern können die Jagunços sie einsehen. Aber sie kommen nicht als Block. Die mittlere Einheit, wie ein Bug, schiebt sich schneller heran, sie überquert als erste das Flußbett und erklimmt die Uferböschung. Es ist ein Spähtrupp, ein gutes Hundert Männer, alle zu Fuß, die sich in Dreierreihen zu zwei Kolonnen gruppieren und rasch, ohne jede Vorsicht anrücken. Er sieht, wie sie die Hälse recken, Ausschau halten nach den Türmen von Belo Monte und kein Auge haben für die bodennahen Schützen, die auf sie zielen. »Worauf warten Sie, Compadre?« sagt Honório. »Daß sie uns sehen?« Antônio schießt, und im gleichen Augenblick bricht rings um ihn, wie ein vervielfachtes Echo, ein Geknatter los, das Trommeln und Trompeten übertönt. Rauch, Staub, Verwirrung bemächtigen sich des Spähtrupps. Langsam, ein Auge zugekniffen, verschießt Antônio seine Kugeln, nimmt die Soldaten aufs Korn, die kehrtmachen und Hals über Kopf fliehen. Er kann erkennen, daß andere Einheiten die Schlucht schon hinter sich haben und aus drei, vier verschiedenen Richtungen näherkommen. Das Feuer hat ausgesetzt.
    »Sie haben uns nicht gesehen«, sagt sein Bruder zu ihm. »Sie haben die Sonne im Gesicht«, antwortet Antônio. »In einer Stunde sind sie blind.«
    Beide laden ihre Waffen. Einzelne Schüsse sind zu hören, von Jagunços, die versuchen, die Verwundeten zu erledigen, die übers Geröll kriechen, um die Schlucht zu erreichen. An deren Rand tauchen noch immer Köpfe, Arme, Leiber von Soldaten auf. Beim Vorrücken über das rutschige, unsichere Gelände zerbröckeln die Einheiten, splittern auf, verlieren die Stoßrichtung. Die Soldaten haben zu schießen begonnen, aber Antônio hat

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